Der ergiebigste Schauplatz für Ihren Roman. Auch wenn Sie ihn ganz woanders spielen lassen.

Ob Dr. House, Emergency Room – Die Notaufnahme, Scrubs – Die Anfänger, Grey’s Anatomy, oder, tut mit leid, die Schwarzwaldklinik, Krankenhausserien sind nicht nur erfolgreich, einige von ihnen werden zu popkulturellen Phänomenen.
Verrückt, oder? Niemand ist gern im Krankenhaus, egal ob als Patient oder Besucher, und selbst manche Pflegekräfte und Ärzte wirken, als wären sie lieber woanders. An der Anziehungskraft des Schauplatzes kann es also schon mal nicht liegen.
Irrtum. Genau daran liegt es.
Ginge es nur um die Beziehungen der Figuren, könnten Sie den Roman doch ebenso gut auf einem Kreuzfahrtschiff spielen lassen, auf einem Ponyhof oder in einem kleinen Haus auf der Prärie.
Ein Ort inmitten des weiten Schauplatzes »Klinik« mit besonderer Signifikanz ist der Operationssaal, der OP. Und Ihnen gibt die genauere Betrachtung des OPs eine Menge Tipps und Anregungen für Ihren Roman und seine Schauplätze.

Was macht den OP so perfekt als Schauplatz? Und wie nutzen Sie diese Erkenntnisse in Ihrem eigenen Roman?

In einem OP geht es um eine Menge, in Storys meist um nicht weniger als um ein Leben. Die Einsätze sind hoch, doch nicht nur sie: Die Eingriffe in den erfolgreichen Serien sind meist mit einem hohen Risiko verbunden. Hinzu kommt häufig noch Zeitdruck – die Uhr tickt und mit jedem Ticken verrinnt das Leben des Patienten.
Womit wir schon mal drei Faktoren für Spannung hätten: hoher Einsatz, hohes Risiko, wenig Zeit. Auf beiden Seiten, OP-Team wie Patient. Steht beim Patienten sein Leben auf dem Spiel, kann es für den Operateur immerhin seine Karriere sein, die er mit einem Fehler beendet. Vielleicht die noch geheime Verlobung zwischen der Ärztin und einem Pfleger, die die Frau mit einem falschen Satz, im Zorn gesprochen, beendet. Damit das bei Ihren Lesern als Spannung ankommt, sollten es diese kümmern, was mit den Charakteren geschieht. Ein Weg dahin ist der über Sympathie und Mitgefühl.
Und auch diese sind in den Schauplatz eingebaut. Dem Patienten gilt das Mitgefühl der Leser schon allein wegen seiner misslichen, hilflosen Lage. Man leidet mit. Der Operateur hingegen kann dann sympathischer erscheinen, wenn er mit Kompetenz punktet. Geht einem solchen Arzt, der den Lesern beweist, wie fähig er als Chirurg ist, etwas daneben, so empfinden die Leser das als ungerecht – und ein verletztes Gerechtigkeitsempfinden ist einer der mächtigsten Motivatoren fürs Weiterlesen. Ähnlich ist es, wenn ein Assistent zu Unrecht angeschnauzt oder heruntergeputzt wird.
Weitere Faktoren entscheiden mit über Mitgefühl und Sympathie. Dialoge spielen hierfür eine große Rolle. Wie spricht die Anästhesistin mit dem Patienten? Wie geht der Chirurg mit ihm oder ihr um? Und: Wie sprechen die Teammitglieder miteinander? Wer beweist Humor? Wer zeigt Arroganz?
Gerade die heutzutage stark regulierte und nicht eben menschenfreundliche Umgebung eines typischen OPs erlaubt einen starken Kontrast: Die sterile Umgebung mit ihren Checklisten und grellem Licht, die hinter Maske und Schürze und Handschuhen verborgenen Personen – in einer solchen Umgebung fallen Emotionen, Wärme und Humor sehr viel eher auf, zeigen sich sehr viel deutlicher.
Und noch etwas schafft ein solcher Schauplatz: Er kann das Augenmerk der Leser auf kleinste Unregelmäßigkeiten und spezifische Details lenken, auf Dinge, die hier nicht hingehören und gerade deshalb so interessant sind. Ein Kabel als Stolperfalle für den Chirurgen. Ein zuckendes Licht, das irritiert. Ein vergessener, blutiger Handschuh unter dem Tisch.
Auch die Dialoge werden von diesem Setting begünstigt. Da ist der schon erwähnte Zeitdruck, der leere Plaudereien verbietet – anders als in der Realität, wo Operationen sich oft über Stunden hinziehen, komprimieren Sie das im Roman oder Drehbuch auf die Essenz. Mit Zeitdruck verstärken Sie schwelende Konflikte oder lassen sie erst richtig aufflammen. Zeitdruck sorgt auch dafür, dass Masken fallen und die Figuren ihr wahres Ich zeigen. Zeitdruck, hohe Einsätze, hohes Risiko, offenbarte Konflikte auf Seiten der Figuren, Mitfiebern auf Seiten der Leser aufgrund von Mitgefühl und Sympathie – beste Voraussetzungen für Drama.
Und da sind wir noch nicht mal bei den inneren Konflikten! Denn neben dem Zeitdruck gibt es auch Erfolgsdruck insbesondere im Operateur. Die hohe Belastung verstärkt auch die inneren Konflikte: Bin ich gut genug? Was, wenn ich scheitere? Wie erkläre ich mein Versagen der Familie, die ich persönlich kenne? Kann ich meine mangelnden Fähigkeiten kaschieren? Kann ich mein Versagen auf die mit Koks zugeknallte Anästhesistin abwälzen, auf die schwerhörige OP-Schwester oder auf das Stolpern des Springers?
Die inneren Konflikte wiederum zeigen Außenwirkung: Unaufmerksamkeit, eine zu barsche Antwort oder ein mutwilliges Verschleppen einer eiligen Maßnahme. Ein Zittern zum exakt ungünstigsten Zeitpunkt. Ein Blickkontakt, den ich vermeiden wollte.
Womit wir bei den Beziehungen und ihren Konflikten wären, mit allem, was dazugehört: Liebe, Eifersucht, ein geheimer Groll, Rachegelüste, Neid und was es noch so an Auslösern von Drama gibt. Zwar wird es in einem realen OP weniger saftig zugehen als in den dramatisierten OPs von Buch und Film. Doch das richtet unser Augenmerk auf eine andere Art von Konflikten: den versteckten, den zwischen Personen schwelenden. Auch diese zeigen Außenwirkung – und weil das Setting »OP« so turbogeladen ist, kann diese Wirkung, siehe oben, schreckliche Folgen haben. Mehr Drama, Baby!
Womit wir bei den ersten OP-Sälen wären. Diese wurden nicht von ungefähr »Operationstheater« genannt. Wegen ihrer an Amphitheater angelehnten Form? Sicher. Oder nicht vielleicht auch wegen des Dramas, das sich in ihnen abspielte?

So kommen die Erkenntnisse über den OP auch Ihrem Roman zugute

Auch wenn Sie Ihren Roman nicht in einem OP spielen lassen, die genannten Tricks zur Verbesserung von Story und Dialogen, zur Vertiefung von Emotionen, zur Spannungserzeugung und Dramatisierung, all das wird auch Ihrem Roman zugutekommen.
Wie verhält sich ein Schauplatz in Ihrem Roman zur Spannung? Begünstigt oder hindert er sie? Fallen konkrete Details auf oder gehen sie unter? Wie verlaufen typische Dialoge in dieser Umgebung? Wie verhalten sich die Menschen dort? Was sind erwartbare Konflikte, und welche würden Ihre Leser überraschen? Gibt es Reglementierungen? Schematische Abläufe, die Sie durchbrechen könnten?
Denken Sie durchaus auch daran, den Schauplatz zu stören, um durch einen solchen Konflikt die anderen Konflikte der Szene zu verstärken oder zu verändern. Beispiel: Schauplatz Klassenzimmer. Während der Klausur betritt ein als Kröte verkleideter Mann den Raum, holt sich eine Klausur vom Pult und setzt sich hin und arbeitet mit. Die komplette Dynamik des Raums und der schematischen Abläufe würde sich sofort ändern.
Testen Sie Ihren Schauplatz doch einfach mal bei den angesprochenen Aspekten und Kriterien durch. Und finden Sie weitere, die ein OP nicht bietet. Sollte der von Ihnen gewählte Schauplatz schlecht abschneiden, denken Sie daran, ihn zu wechseln. Was gewinnen Sie dadurch?


Nein, eine schöne Umgebung ist der OP nicht. Und gerade darum ein dankbarer Rahmen für Humor. Wie hier: Schnupperpraktikum im OP-Theater.
Video.