Überraschende Wendungen — Schreibratgeber von Stephan Waldscheidt

Überraschende Wendungen

So schreiben Sie atemberaubende Twists (Meisterkurs Romane schreiben). Der neue Schreibratgeber für Romanautorinnen und -autoren..

Jede Geschichte, die je erzählt wurde, kann in drei Teile heruntergebrochen werden. Den Anfang. Die Mitte. Und den Plot-Twist.

(R. L. Stine, Autor von mehr als 400 Büchern, verkaufte Auflage: über 400 Millionen)

Überraschende Wendungen

Info zum Schreibratgeber „Überraschende Wendungen“

Was machte aus »Gone Girl« oder »Girl on the Train« Bestseller? Was machte aus »Game of Thrones« ein Gesprächsthema, aus »Sieben« einen Klassiker, aus »Memento« eine unvergessliche Geschichte?
Atemberaubende Wendungen. Solche Twists verwandeln einen guten in einen großartigen Roman. Sie verbessern Ihre Chancen auf einen Agentur- und Verlagsvertrag. Und auf einen Bestseller.

Dieses Buch zeigt Ihnen anhand zahlreicher Beispiele aus Büchern, Filmen und Fernsehserien, wie Sie Twists vorbereiten und schreiben und ihr Potenzial nutzen.

Nichts versorgt Ihren Roman mit mehr Energie als eine überraschende Wendung – und Ihre Leser gleich mit. Ob Sie Thriller schreiben oder anspruchsvolle Literatur, historische Romane oder Fantasy, Young-Adult-Romanzen oder Krimis, Science-Fiction oder Horror, überraschende Wendungen begeistern Leser jedes Alters und in jedem Genre und Genre-Mix.

Dieser Schreibratgeber erklärt und zeigt Ihnen:

  • Was überraschende Wendungen (Twists) sind und was sie von Überraschungen unterscheidet.
  • Wie sie eine überraschende Wendung mit Hinweisen und falschen Fährten geschickt vorbereiten.
  • Wie Sie die Erwartungen Ihrer Leser steuern oder unterlaufen, um sie zu überraschen, zu schockieren, zu rühren und ihnen ein intensiveres Lese-Erlebnis verschaffen.
  • Wie sie Twists organisch in Ihren Roman einbauen und ihr großes Potenzial nutzen.
  • Welche Twists Sie für Ihren Roman wählen sollten und warum.
  • Welche Fehler mit überraschenden Wendungen drohen und wie Sie sie vermeiden.
  • Dieser Schreibratgeber erläutert ausführlich und praxisorientiert:

  • 20+ Arten von Hinweisen und falschen Fährten.
  • 55+ Arten von überraschenden Wendungen.
  • Überraschende Wendungen (Twists) versorgen Ihren Roman mit Energie und dem gewissen Etwas. Und sie machen Spaß – Ihnen, den Verlagen, den Lesern. Schreiben Sie sie. Jetzt.


    Überraschende Wendungen. Der Schreibratgeber.
    Paperback
    E-Book für Kindle
    E-Book für Tolino


    Inhalt

    Inhaltsverzeichnis Stephan Waldscheidt, Überraschende Wendungen, Schreibratgeber für Romanautoren

    Was überraschende Wendungen sind. Und was nicht.

    Was kann es Aufregenderes für ein Publikum geben, als zu erfahren, dass Pamela Ewing die komplette neunte Staffel von »Dallas« einschließlich Bobbys Tod nur geträumt hat? Was für eine Wendung! Äh … nein? Aber es ist doch klasse, wenn ein neuer Charakter wie aus dem Nichts überraschend auftaucht und der Heldin das Leben rettet! Wie, auch nicht?
    Ihre Leser lieben Überraschungen. Die richtigen, auf die richtige Weise überbracht, auf der Mikroebene einer Szene ebenso wie auf der Makroebene des Romans.
    Während Überraschungen (und dazu gehört auch der Schock) bloß ein zu Literatur gewordenes »Hu!« sind, lenkt die überraschende Wendung (Twist) die Story oder Szene in eine neue Bahn. Der Leser bekommt, was er von Ihrem Roman will – ohne zu wissen, dass er es wollte. Ein gelungener Twist spricht den Verstand ebenso an wie Herz und Seele.

    Die Rate an kleinen und großen Twists in Ihrem Roman und das Ausmaß der jeweiligen Wendung bestimmen entscheidend das Tempo der Story und das Pageturner-Potenzial Ihres Buchs mit. Das heißt eben auch, dass Sie sich nicht auf zwei, drei große Twists in Ihrem Roman verlassen dürfen. Ein zumindest kleiner Twist gehört in jede Szene, die es wert sein soll, geschrieben zu werden.

    Twists sind wie Stromstöße, mit denen Sie Ihren Roman auf der einen und die Leser auf der anderen Seite wieder und wieder neu beleben, mit Energie versorgen, sie nach vorne treiben. Twists sind eine besonders starke Form von Veränderung, und erst durch Veränderungen gewinnt Ihr Roman überhaupt an Kraft und Lebendigkeit, ja, Lebensnähe. Ein Roman, in dem sich nichts verändert, tritt auf der Stelle.
    Ziellose Charaktere interessieren sich offenbar nicht mal selbst für die eigene, traurig-passive Existenz, nicht genug, um in die Pötte zu kommen und endlich die Handlung voranzutreiben. Warum sollte sich ein Leser für diese Existenzen interessieren? Leser schlafen ein, manch einer soll schon vor Langeweile gestorben sein, wenn fünfzig Seiten lang keine Veränderung, kein Twist kam und ihm zeigte, dass das Leben lesenswert und das Lesen lebenswert ist.
    Wenn jede Veränderung für den Leser wie ein Griff an den Elektrozaun ist, so sind Twists wie eine volle Ladung vom Defibrillator. Nur die Energie, nicht die Schmerzen.
    Die Strom-Metapher macht es deutlich: Twists sorgen immer auch für (mehr) Spannung.

    Ein gelungener Twist ist immer auch ein Punkt ohne Wiederkehr. Denn hinter die Erkenntnis der Wahrheit können Sie Ihre Leser nicht mehr zurückschicken. Das ist wie bei dieser berühmtesten aller optischen Täuschungen, »My Wife and My Mother-In-Law« von W. E. Hill. Egal, welches der beiden möglichen Bilder Sie zuerst sehen, die junge oder die alte Frau – sobald Sie beide sehen, können Sie es nicht mehr ungesehen machen. Die Bilder werden in ihrer Wahrnehmung hin- und herspringen.

    Sobald Sie die überraschende Wendung erkannt haben, sehen Sie zwei Personen.

    Bei den meisten Twists arbeiten Sie mit diesem Prinzip der Täuschung: Sie verkaufen dem Leser Ihre Story als »junge Frau« und enthüllen im Twist »die alte Frau«. Was der Leser bislang für eine Wange gehalten wird, entpuppt sich als Nase, die Halskette als Mund, das Ohr als Auge.

    Manchmal kann der komplette Roman auf einen Twist hinauslaufen und jedes Wort ist ein Hinweis. Wie in John Irvings »Owen Meany«, dessen Twist und zugleich Höhepunkt dem ganzen, sehr langen Roman zuvor sofort einen (neuen) Sinn gibt. Das nennt man auch umdeutendes Ende.
    Oder wie in Yann Martels »Schiffbruch mit Tiger«, wo der unzuverlässige Erzähler am Ende eine erschütternde Wahrheit enthüllt: Die Tiere, die mit ihm das Rettungsboot teilten, waren keine. Und der Tiger? Das war der Erzähler selbst. Aber darf der Leser ihm glauben?
    Es kann hilfreich sein, zwischen Wendung und Umkehrung zu unterscheiden. Eine Wendung ist es, wenn Sie dem Leser den Mörder enthüllen. Eine Umkehrung liegt vor, wenn der unbescholtene und freundliche Assistent des Kommissars, den die Leser genau so wahrgenommen und akzeptiert haben, sich als der Mörder entpuppt. Also sich nicht nur etwas anderes offenbart, als der Leser erwartete – sondern das Gegenteil: Der vermeintlich an der Aufklärung des Verbrechens arbeitende Assistent war tatsächlich die ganze Zeit damit beschäftigt, die Aufklärung zu verhindern.
    Manche Schreibratgeber unterscheiden Twists (überraschende Wendungen) und Reversals (überraschende Umkehrungen). Ein Reversal ist jedoch nichts anderes als eine Sonderform des Twists. Sprich: In diesem Buch ist stets auch Reversal mit gemeint, wenn Twist dasteht.

    Ein Twist kann alle wichtigen Story-Aspekte wenden. Die Grenzen sind fließend und beliebige sowie mehrfache Kombinationen sind nicht nur möglich, sondern sorgen für einen noch dichteren Roman.
    Eine Auswahl:

    • Wissen
    Beispiel: Die Heldin erfährt im Twist, wem sie den Rauswurf aus dem Mode-Unternehmen verdankt.

    • Emotionen
    Beispiel: Die vor der Wende hoffnungsvolle Stimmung der jugendlichen Schatzsucher schlägt nach der Wende in Verzweiflung um, als sie sehen, wie das Boot mit dem Schatz versinkt. Und damit auch ihre letzte Chance, die unbewohnte Insel zu verlassen.

    • Handlung
    Beispiel: Die Suche nach dem Drachen erfährt mit dem Finden des Drachens in seiner Höhle eine Wendung. Denn jetzt macht der Drache Jagd auf die, die ihn aufgeweckt haben.

    • Thema
    Beispiel: Das vermeintliche Thema Eifersucht, das den Roman bis zum Twist angetrieben hat, schlägt nach der Wende in einen Rache-Plot um.

    • Charakter
    Beispiel: Im Twist offenbart sich überraschend das wahre Gesicht der scheinbar so gastfreundlichen alten Dame. Sie ist eine Vampirhexe und sie will das Blut ihrer Besucher trinken.

    • Sprache
    Beispiel: Nach den Enthüllungen des Twists wechselt die Sprache von einem nüchternen in einen spannungssteigernden Ton.

    Eine besondere Form eines Twists ist die Pointe. Doch nicht jede Pointe ist ein Twist. Zwar überrascht die Pointe immer. Zum Twist wird sie erst dann, wenn sie dem Davor oder Danach einen Dreh verpasst. Eine Pointe braucht zudem nur eine kurze Vorbereitung, wie ja auch die besten Witze kurz sind. Sie eignet sich also ideal für Szenen und steht dort am wirkungsvollsten am Ende. Genau wie bei einem gelungenen Witz.


    Überraschende Wendungen: Das hättest du nicht erwartet, was?

    Von Ihnen erwarten die Leser jeden noch so schmutzigen Trick: falsche Fährten, Täuschungen, Auslassungen, Lügen. Sie erwarten, dass Sie sie an der Nase herumführen und immer noch ein weiteres Ass im Ärmel stecken haben. Und eine weitere Kugel in Ihrer vermeintlich leergeschossenen Flinte. Die Leser erwarten Überraschungen, sie erwarten beste Unterhaltung. Sie erwarten aber auch, dass Sie sie bei all dieser Trickserei immer fair behandeln. Weitgehend fair. Sie sind ein Entertainer, die Leser verzeihen Ihnen so einiges. Nur keine Langeweile.

    Damit Ihr Twist funktioniert, müssen Sie vor allem wissen, was die Leser von Ihrem Roman erwarten. Erst dann können Sie diese Erwartungen auf positive Weise übererfüllen oder brechen. Lassen Sie die Leser ruhig mal eine Überraschung vorhersehen – dann fühlen sie sich gut –, aber sorgen Sie dafür, dass das Wie der Überraschung die Leser umhaut. Dann fühlen sie sich besser.
    Erwartungen werden zunächst vom Genre bestimmt. Einem Thriller-Leser brauchen Sie nicht mit einer überraschenden Wende im Liebesleben zweier Charaktere zu kommen, ein Leser anspruchsvoller Literatur freut sich mehr über einen überraschenden Wechsel auf die Meta-Ebene Ihres Textes als über ein unerwartet auftauchendes Monster. Diese Erwartungen sollten Sie kennen, um Ihren Twist möglichst wirkungsvoll vorzubereiten.
    Dazu gehört es, Erwartungen zu steuern, etwa über falsche Fährten. So ist Bischof Aringarosa in Dan Browns »Sakrileg« von Beginn an ein zwielichtiger Charakter, den der Leser für den Antagonisten hält. Doch Aringarosa ist nicht nur unschuldig – er lenkt auch vom eigentlichen Bösewicht ab.
    Was ein Leser erwartet, hängt natürlich auch ganz individuell von jedem Leser ab. Auf direkte Weise können Sie das nicht beeinflussen. Indirekt schon. Indem Sie die Leser-Erwartungen in eine bestimmte, Ihnen und Ihrem Twist genehme, Richtung steuern. Und das innerhalb der vom Genre bestimmten Erwartungen.


    Überraschende Wendungen: Spannung und Suspense

    Überraschende Wendungen sorgen für Hochspannung. Nach der Wendung hat sich die Lage für die Charaktere radikal verändert, zwischen dem Davor und dem Danach ist ein Konflikt aufgebrochen wie eine Schlucht. Für den Leser stellen sich zahlreiche Spannungsfragen, etwa: »Wie reagiert der Charakter auf die neuen Umstände?«, »Welche Entscheidung wird er treffen?«, »In welche Richtung entwickeln sich die Ereignisse weiter?«, »Kann der Protagonist jetzt sein Ziel noch erreichen?« Der Leser springt über die Schlucht in eine neue Story hinein. Und das treibt seinen Puls in die Höhe.
    Das Plötzliche, Unerwartete der Wendung bedeutet eine hohe Dynamik – und diese Dynamik, als einer der unverzichtbaren Faktoren von Spannung, zieht den Spannungsfaden weiter an.
    Das Ungewisse der Konsequenzen, die Orientierung, die die neue Lage erfordert, das auf einmal geänderte Ziel oder die nähergerückte Gefahr – solche Dinge jagen auch die Suspense, als gespannte Erwartung eines kommenden Konflikts, auf eine neue Spitze.
    Kein Wunder also, wenn sich Twists insbesondere in Thrillern zu Hause fühlen. Deren Leser verschlingen das Genre, weil sie Adrenalin-Junkies sind (zumindest die Sorte, die ihr Adrenalin-High gefahrlos auf dem Sofa durchleben will). Umgekehrt heißt das, dass Sie gerade als Autor dieses und angrenzender Genres oder Genre-Mischungen Twists liefern müssen.

    Und Wendungen ohne Überraschung? Haben ebenfalls Ihren Platz in Ihrem Roman. Nicht jede Wendung muss den Leser überraschen. Doch statt der Überraschung bieten Sie dem Leser etwas anderes: Spannung und Suspense. Dann nämlich, wenn der Leser die Wende kommen sieht und womöglich auch schon weiß, wie es anschließend weitergehen wird.
    Nehmen wir den klassischsten aller Countdowns: Noch zehn Minuten Zeit bis zur Evakuierung des Raumschiffs. Dann wird der Selbstzerstörungsmechanismus das Schiff und alles und jeden an Bord in Energie und sehr kleine Trümmerteile zerlegen. Der Leser weiß, dass diese Wendung kommt. Denn es versucht niemand das Unmögliche: den Countdown zu stoppen. (Was ebenfalls für Suspense gesorgt hätte.) Stattdessen flüchten alle zu den Ein-Personen-Rettungskapseln. In zehn Minuten kommt ein Wendepunkt für die Charaktere an Bord. Sie werden in alle (Sonnen-)Winde zerstreut und niemand wird wissen, wer noch überlebt hat. Keine Überraschung. Aber Spannung – Wer wird es zu einer Kapsel schaffen und rechtzeitig das Schiff verlassen können? – und Suspense – Was wartet auf die Charaktere, die sich retten können, draußen allein im All?

    Mehr über die Grundlagen für mehr Spannung und Suspense in Ihren Twists erfahren Sie in meinem Schreibratgeber »Spannung & Suspense – Die Spannungsformel für jedes Genre«: Mehr Info auf der Buchseite von Amazon


    Überraschende Wendungen: Plot und Struktur

    Den Twist sollten Sie als Teil Ihres Plots sehen, also als wichtigen Punkt innerhalb der Struktur und Dramaturgie Ihres Romans. Nehmen Sie beispielsweise den Midpoint im Zentrum Ihres Romans. Auf diesen Punkt schreiben Sie in der ersten Hälfte des zweiten von drei Akten zu. Ebenso sollten Sie auch jeden Twist als ein Zwischenziel betrachten, auf das Sie die Handlung zuspitzen. Das nutzt Ihnen auch beim Schreiben: indem es Ihnen ein Zwischenziel gibt und eine absehbare Zahl von Seiten, den Roman also überschaubarer hält.
    Eine überraschende Wendung kann einen der zentralen Wendepunkte bilden – in der 3-Akte-Struktur also einen der Plotpoints am Ende von Akt 1 und Akt 2, den Midpoint oder den Höhepunkt in Akt 3 (Klimax). Ein Muss ist das nicht.
    Ebenso kann ein Twist weit vorn im Roman sinnvoll sein, etwa als auslösende Ereignis den eigentlichen Roman in Gang setzen. Durch diese überraschende Wendung werden die weiteren Ereignisse angestoßen. Das kann das Entdecken eines Dimensionstors sein oder ein erster Kontakt mit Geistern wie in der legendären Fernseher-Szene mit der kleinen Carol Anne aus »Poltergeist« (1982).
    An solchen herausgehobenen Stellen spielt eine Überraschung ihre Kraft am besten aus, denn an diesen Stellen funktionieren Wendungen besonders gut. Dort nämlich erwartet der trainierte Leser Wichtiges und dieses Wichtige kommt gerade recht, nicht zu früh und nicht zu spät im Plotverlauf. Denken Sie an den Cliffhanger oder die aufschlussreiche Enthüllung am Ende einer Szene, denken Sie an den Midpoint eines Romans, wo der Leser gierig darauf wartet, dass die Protagonistin von der Suche nach Hinweisen endlich zum Kampf übergeht: Die Suche nach dem Täter hat ein Ende. Jetzt geht die Hatz auf den im Midpoint überraschend enthüllten Bösewicht los. In einem Liebesroman mag der Heldin an dieser Stelle klar werden, wem ihr Herz tatsächlich gehört. Und jetzt startet sie ihren Eroberungsfeldzug.

    Faustregel: Je wichtiger der Twist für den Roman als Ganzes ist, desto eher sollte er einer der zentralen Wendepunkte sein oder mit ihm zusammenfallen.
    Das heißt auch, dass Sie den Twist sinnvollerweise zusammen mit dem Plot entwickeln. Mehr dazu unten.

    In der Drama-Theorie ist die Peripetie der Punkt des plötzlichen und unerwarteten Umschlags des Glücks oder Unglücks. In einem Dreiakter steht sie am Ende des zweiten oder Beginn des dritten Akts, in einem Fünfakter bildet sie den Gegenstand des dritten Akts. In einem Roman bietet sich für den größten Twist der Story der Plotpoint 2 nach etwa 75 bis 80 Prozent des Textes an.
    Es spricht jedoch nichts dagegen, die Peripetie sogar noch weiter nach hinten zu schieben und sie zum Höhepunkt zu machen. Der Leser moderner Texte ist daran gewöhnt, dass nach dem Höhepunkt nicht mehr viel passiert. Die klassischen Texte jedoch, auch die streng nach der Heldenreise geplotteten, räumen hingegen der Heimkehr und dem Beweis der Veränderung des Helden – alles antiklimaktische Ereignisse – noch sehr viel mehr Seiten ein.

    Denken Sie bei der Platzierung Ihres Twists auch daran, für wen Sie den Twist schreiben: in erster Linie für den Leser und erst in zweiter für eine Ihrer Romanfiguren. Häufig fällt beides zusammen.
    Gerade weil die meisten Leser erfahren sind, erwarten sie an den herausgehobenen Stellen im Roman oder in einer Szene einen Twist, der sie überrascht – und nicht nur einen der Charaktere.
    In Rob Boffards SF-Thriller »Tracer« entlarvt Protagonistin Riley eine Intrige. Sie kriecht durch Schächte und sieht dann folgende Szene:

    Ein Raum. Hell erleuchtet, mit dem üblichen Boden aus Metallplatten. Ein Lagerraum. Gray ist hier. Er hat mir den Rücken zugewandt, und er unterhält sich mit einem seiner Kumpels, verschwommen am Rande meines Blickfelds. Endlich kann ich seine Worte verstehen, die durch die Spalten in den Kacheln zu mir hoch dringen. »Ich habe gemacht, was du wolltest«, sagt er.
    Die andere Person im Raum antwortet: »Nein, das hast du nicht. Du hast Mist gebaut, Arthur.«
    Ich kenne diese Stimme. Es ist derselbe sanft flötende Ton, der mir gerade erst vor ein paar Stunden einen Job angeboten hat.
    Oren Darnell tritt vor, in mein Blickfeld. Und als er das tut, erhasche ich einen Blick auf Prakesh.
    Er ist hinter Darnell, auf dem Boden ausgestreckt – nicht gefesselt, aber besinnungslos. Mein Atem stockt mir in der Kehle. Nicht nur seinetwegen.
    Neben Prakesh liegen Yao und Kevin.

    (Rob Boffard, »Tracer«, Heyne 2016, eigene Übersetzung)

    Damit endet das Kapitel. Riley ist offenbar überrascht. Doch leider nickt der Leser nur, denn er weiß bereits, aus einem anderen Erzählstrang, dass Darnell ein Fiesling ist und Yao und Kevin gefangen hat. Die Überraschung funktioniert für den Leser nicht. Nur wenn er sich stark mit Riley identifiziert, wird er hier überhaupt etwas empfinden.
    Kritisch ist hier die Platzierung. Mitten in der Szene hätte der Leser diese Stelle nicht als verloren betrachtet. Doch hier, am Ende der Szene, erwartet er mehr von der Geschichte. Er will selbst überrascht werden, statt nur anderen dabei zuzusehen, wie man sie überrascht.

    Extra-Tipp: In einer dramatischen Szene bildet die überraschende Wendung im Midpoint oder Höhepunkt der Szene häufig den Dreh- und Angelpunkt. Mehr noch: Der Twist ist der Grund, warum Sie die Szene überhaupt schreiben. Wenn Sie also eine neue Szene plotten, fangen Sie mit dem Twist an.

    Wie Sie den besten Plot und die dramatischste Struktur für Ihren Roman erschaffen, um auch Ihre Twists optimal zu platzieren, verrät Ihnen mein Schreibratgeber »Plot & Struktur: Dramaturgie, Szenen, dichteres Erzählen« Mehr Info auf der Buchseite von Amazon

    Überraschende Wendungen: Charaktere

    Ein guter Twist sorgt dafür, dass die Charaktere etwas tun, er zwingt sie dazu, die Handlung noch aktiver als bisher voranzutreiben, um ihr Ziel zu erreichen. Weil Handlung den Charakter enthüllt, sorgt auch eine gelungene Wendung dazu, dass der Leser mehr über den Charakter erfährt. Das kann dadurch geschehen, dass der Twist selbst Backstory offenlegt oder den Charakter zu einer Entscheidung oder Handlung zwingt, die dem Leser zeigt, was für ein Mensch der Charakter tatsächlich ist.

    (…)

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    Überraschende Wendungen. So schreiben Sie atemberaubende Twists (Meisterkurs Romane schreiben). Der neue Schreibratgeber für Romanautorinnen und -autoren.

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