Plotten eines Romans oder Drehbuchs: Das größte Missverständnis, dem auch Sie unterliegen (sorry)

Missverständnis übers Plotten …

Ein massives Missverständnis – das womöglich gravierendste überhaupt unter Autoren – verhindert gute und bessere Romane, verhindert Erfolg, verhindert, dass Autoren das aus sich und ihren Ideen herausholen, was sie herausholen könnten.
Mir ist das erst kürzlich bewusst geworden. Und es hat mich, nicht übertrieben: erschüttert.
Es geht um eine fatale Verwechslung: Plotten wird von vielen allein und vor allem mit dem Prozess des Plottens gleichgesetzt. Und um ein großes Missverständnis: Plotten zwinge mir als Autor einen Prozess auf, der mir nicht liegt.

Fatale Folge: Viele Autoren wenden sich unbesehen vom Plotten ab, weil Sie nur den Prozess sehen und denken, der wäre nichts für sie. Ironischerweise mögen Sie damit sogar recht haben.
Leider übersehen sie dabei das Eigentliche, das Wesentliche, nämlich die dahinterliegende Mechanik, den Sinn und Zweck von Story, Struktur, Dramaturgie und wie das alles ihnen helfen könnte, sehr, sehr viel bessere Romane zu schreiben – und das, ohne in ihren geliebten, bewährten Prozess einzugreifen.

… und die Wahrheit übers Plotten von Romanen und Drehbüchern

Die Wahrheit ist nämlich diese: Plotten ist vor allem eine schlüssige Möglichkeit, Figuren und Handlung zu durchdenken, zu entwickeln, zu dramatisieren und immer wieder anzupassen an neue Einfälle.

Plotten nur als Prozess zu sehen, ist in etwa so, als würden Sie sich beim Zubereiten von Mahlzeiten allein auf den Ablauf konzentrieren (Zeug auftauen, Messer wetzen, Topf auf Herd stellen), dabei aber komplett ignorieren, was Sie da überhaupt zubereiten, welchen Geschmack, welche Eigenschaften und Nuancen die einzelnen Lebensmittel mitbringen und welche Art der Zubereitung und Würzung warum für dieses Lebensmittel und diese Gäste die richtige ist.
Kein Koch würde erwarten, dass ihm damit ein genießbares oder gar leckeres Essen gelingt, das seine Gäste beglückt. Anders bei vielen Autoren: Wenn sie nur erst den Topf auf den Herd stellen, die Platte anstellen und dann den Kram reinwerfen, wird ihnen ein Drei-Sterne-Menü gelingen. Weil sie ja dem Prozess exakt gefolgt sind.

Äh.

Wie es zu diesem Missverständnis ums Plotting kommt

Klar geworden ist mir das auch, weil ich häufiger mit Autoren zusammenarbeite, die, nach eigener Aussage oder nach ins Exposé gesetzten Plotpoints (nach welcher Plottingmethode spielt keine Rolle), ihren Roman geplottet haben. Die armen Plotpoints sitzen da im Text wie irritierte Pinguine, die man im Dschungel ausgesetzt hat, und sie haben keinen Schimmer, was sie da sollen (so wenig wie die fehlgeleiteten Autoren).
»Aber es sind doch gesunde Pinguine!«, rufen die Autoren. »Und sie sitzen im richtigen Abstand im Unterholz!«
Was nichts hilft. Die armen Viecher verhungern oder schwitzen sich zu Tode oder werden von Jaguaren und Boas gefressen.
Genau wie die sauber gesetzten Meilensteine im Plot.

Das alles liegt nicht an der Begriffsstutzigkeit der Schreiber. Nein, diese armen Kollegen sind so clever und talentiert wie andere auch. Schuld sind Schreibratgeber – und ich gehör(t)e auch dazu, wie ich beschämt zugeben muss –, die den Unterschied zwischen Prozess und Sinn des Plottens nicht deutlich oder nicht deutlich genug machen. Dass vielen von ihnen der Unterschied selbst nicht klar ist, ist eine Erklärung; eine Entschuldigung ist es nicht.

Jede Autorin, jeder Autor entwickelt nach und nach einen Prozess, um die Seiten mit Roman zu füllen. Jeder Prozess ist ein anderer, ist so individuell wie die Autorin, wie der Autor – und das ist gut so.
Natürlich lassen sich auch Prozesse verbessern, anpassen, ändern. Entsprechend kann man Ratschläge und Empfehlungen aussprechen, wie diese Veränderungen ablaufen könnten. Doch was er wie ändert, das muss jeder Autor mit sich selbst ausmachen, muss es ausprobieren.

Die Lösung: Story-Mechanik und Dramaturgie verstehen

Die Story-Mechanik, die hinter dem Prozess abläuft, ist etwas ganz anderes. Sie ist eben nicht individuell. So mag jeder Koch seine eigene Methode, eben seinen eigenen Prozess entwickelt haben, wie er ein feines Gericht auf den Teller zaubert. An der Physik und Chemie, die dahintersteckt, ändert das nichts. Ob Aushilfskoch in der Dönerbude oder Drei-Michelin-Sterne-Maestro – Wasser kocht für jeden bei hundert Grad Celsius.
Weil die Story-Mechanik (zu der ich etwa Logik und Psychologie zähle) sehr viel allgemeiner gültig ist, kann sie gelehrt werden: Wie funktioniert Spannung? Was ist Konflikt? Wie erzeuge ich Mitgefühl mit meinen Figuren? Wie funktioniert Dramaturgie? Und vieles mehr.
Es geht, auf Seiten der Autoren, zunächst um das Verstehen dieser Mechanismen. Danach kommt das Anwenden – und zwar innerhalb des eigenen, individuellen Prozesses.

Einfach ein Gerüst hinzusetzen und das dann irgendwie zu füllen, das kann nicht funktionieren. Einen Roman schreiben, das ist nicht wie Malen nach Zahlen.
Das Gerüst als Orientierung nutzen, als Erleichterung, das funktioniert hingegen wunderbar – aber eben nur, wenn Sie wissen, was Sie tun, warum Sie es tun und zu welchem Zweck Sie es tun.

Haben Sie erst einmal verstanden, warum ein Plot sinnvollerweise auf eine bestimmte Art strukturiert ist, können Sie das Plotten in Ihren individuellen Prozess einbauen. Sie können am Ende anfangen oder mittendrin, zuerst die Welt bauen, Ihre Heldin entwickeln oder eine Erzählstimme finden. Sie können eine Story-Idee nachverfolgen oder sich ins Thema des Romans vergraben, bei Dialogen ansetzen oder konkrete Szenen mitten im Roman schreiben, ohne den Anfang der Story zu kennen.
Sie können das und dürfen das, weil Sie wissen, wie sich das auf die Elemente des Plots auswirkt oder auswirken sollte und welche Konsequenzen es hat für die Veränderung Ihres Protagonisten oder für die Dramaturgie.

Prozess und die dahinterstehende Erzählmechanik und Dramaturgie sind natürlich miteinander verbunden. Haben Sie erst einmal begriffen (einfach, fix) und verinnerlicht (anspruchsvoll, zeitaufwendig), was die Plotpoints oder Meilensteine der Struktur bewirken und bewirken sollen, so werden Sie Ihren individuellen Prozess ganz von alleine auf eine Weise anpassen, die es Ihnen erlaubt, mehr aus der Dramaturgie, den Figuren und Ihren Ideen herauszuholen – ohne dass Sie sich und Ihre Arbeitsweise dafür auf unangenehme Weise verbiegen müssten.

Ihre Arbeitsweise mit Inhalt und Mechanik – (oder von mir aus auch) den Naturgesetzen organisch erzählter Storys – in Einklang bringen, darum geht es.
Am Ende steht das, was wir, Leser wie Autoren, alle wollen: ein besserer Roman.

Zum Beispiel Ihrer.

Wünsche gutes Gelingen. (Und das ist nach diesem Artikel sehr viel wahrscheinlicher geworden :-))

 

—————– zum besseren Verständnis trägt dieses Buch bei —————————————