Achtung, dieses Missverständnis ruiniert Ihren Roman

Wie extrem vermeintliche Extreme in Ihrem Roman tatsächlich sind

Verwandt mit dem Missverständnis, anhaltende Spannung würde die Leser ermüden, ist ein anderer Irrglaube: Konflikte und auch Spannung könnten zu extrem werden. Oder auch Figuren.
Können sie nicht.
Versprochen.
Mir ist noch kein Roman oder Film untergekommen, der sein Konflikt- und Spannungspotenzial ausreizt. Ihnen auch nicht, stimmt’s?

Wenn ich eine Rate vergeben könnte, würde ich schätzen, dass die meisten Romane vielleicht 10 bis 20 % ihres Konfliktpotenzials ausreizen. Selbst die besten kommen kaum auf 30 oder gar 40 %. Nach oben ist für Konflikte immer noch Luft. Immer. Keine Ausnahme.
Bei den meisten Erstlingswerken reden wir eher von 1,75 bis 6,33 %.

 

Was aus der Wichtigkeit und dem dramatischen Potenzial von Extremen für Sie folgt

Was für Sie heißt:

* Da geht noch was. Und war eine Menge.

* Da muss noch mehr gehen. Deutlich mehr. Denn neben Ihrem Buch liegen im Laden oder einen Klick entfernt andere, viele andere, die die Konflikte sehr viel weiter ausreizen.

* Sie brauchen keine Angst zu haben, die Konflikte könnten Ihnen zu extrem geraten.

 

Beispiele für extreme Figuren und Welten in Roman, Film, Serie

Dann rufen Sie sich die Romane, Filme, Serien ins Gedächtnis, die Ihnen eben dort, in der Erinnerung, geblieben sind. Sind diese Storys und ihre Figuren harmlos, brav und mittelmäßig? Oder zeigen sie Außergewöhnliches, Krasses, eben Extremes?
Denken Sie auch an die Schauplätze und Welten, auch sie vertragen und brauchen meist mehr Extremes. Ein Wüstenplanet mit einer Menge Oasen und frühlingshaften Temperaturen? Ein Astronaut, der auf einem Mars überleben muss, der eine Atmosphäre hat, reichlich Gemüse und viele Leute, die dem Mann helfen? Ein riesiges Kreuzfahrtschiff, das mit einem fußballgroßen Eisklotz kollidiert? Ein Superheld, der den Rührteig ein kleines bisschen schneller rührt als der Leser?

Ah, und die Figuren!
Hannibal Lecter, Lady Macbeth, Gollum, Anna Karenina, Daeneris Targaryen und Tyrion Lannister, Madame Bovary, Walter White und Saul Goodman, Katniss Everdeen, Romeo und Julia, Dexter, Spock, Antigone, Darth Vader, Holly Golightly, Dr Jekyll und Mr Hyde, Miss Marple, Tarzan, Ellen Ripley, Old Shatterhand, Nurse Ratched, James Bond, Wonder Woman, Jack Reacher, Scarlett O’Hara, Hulk, Terminator – welche dieser Figuren wäre ins kollektive Gedächtnis eingegangen, wenn die Autoren sie weniger extrem gemacht hätten?
Ja, das war eine rhetorische Frage.

Kleiner Tipp zwischendurch: Ob Sie eine Figur extrem machen, hängt auch davon ab, wie die Leser sich mit ihr verbinden sollen. Extreme Figuren eignen sich eher für distanziertere Rollen, da vieles über Faszination läuft. Gerade Antagonisten dürfen gerne extrem(er) werden, insbesondere in eine Richtung, die dem Helden das Erreichen seines Ziels damit noch schwerer macht. Zur Identifikation eignet sich in vielen Fällen ein Otto-und-Anna-Normalo-Held. Der aber sollte dennoch kein Langweiler sein und darf durchaus die eine oder andere extreme Eigenschaft mitbringen.

 

Ursachen für die Angst vor Extremen im Roman — und wie Sie sie lösen

Doch diese Angst vor Extremen hat ja durchaus eine Ursache. Oder mehrere. Gehen wir an und lösen wir:

* Häufig empfinden Autoren (eher als Leser) einen Konflikt als zu krass, weil er nicht zu den Figuren passt, die in diesen Konflikt verwickelt sind.

Ansatzpunkte: Figur und/oder Konflikt.

Lösung: Sehen Sie sich Ihre Figuren an und schneidern Sie ihnen die Konflikte auf Maß.
Lösung: Verändern Sie Ihre Figuren so, dass sie auch krassere Konflikte glaubhaft austragen und eskalieren. Wenn Sie beispielsweise Krieg gegen eine Alien-Invasion darstellen wollen und Ihre Protagonistin ein Mäuschen ist, das nicht über seinen introvertiert-feigen Schatten springen kann, dann geben Sie der Figur eine andere Persönlichkeit oder einen glaubhaften Ansatz, sich so zu verändern, dass sie dann eben doch irgendwann einen solchen Konflikt austragen kann.

* Häufig empfinden Autoren (eher als Leser) einen Konflikt als zu krass, weil die Emotionen nicht stimmen, der Konflikt also etwa zu melodramatisch wirkt.
Beispiel: Eine bis dahin als innerlich verkrusteter Mensch dargestellte Figur bricht während einer nüchternen Diskussion in Tränen aus und wälzt sich auf dem Boden.

Ansatzpunkt: Emotionen (der Figuren).

Lösung: Sorgen Sie dafür, dass die Emotionen aus der Figur kommen und zu der Figur passen, aber eben auch der Situation angemessen sind. Achten Sie dabei insbesondere auf die Verhältnismäßigkeit: Würde diese Situation tatsächlich eine emotionale Reaktion in der von Ihnen als zu krass empfundenen Stärke auslösen?

* Häufig empfinden Autoren (eher als Leser) einen Konflikt als zu krass, weil er nicht zum Autor, den eigenen Erfahrungen oder dem Selbstverständnis passt.
Beispiel: Eine Romanfigur tut, sagt oder empfindet etwas, das der Autor selbst niemals tun, sagen oder empfinden würde.

Ansatzpunkt: Sie selbst.

Lösung: Sie sind nicht Ihre Figuren. Vermutlich wären Sie als Romanfigur ungeeignet: zu normal, zu harmoniebedürftig, zu ausgeglichen, zu sehr in geordneten Verhältnissen usw. Wenn Sie Figuren schaffen, die auf unterschiedliche Arten extremer sind als Sie, sollten Sie ihnen auch extremere Taten, Worte, Empfindungen zuschreiben. Anders gesagt: Sie erschaffen Ihre Figuren eben so, dass diese extremeren Taten, Worte, Empfindungen zu ihnen passen.
Das erfordert ein Zurücktreten vom Text und den Figuren, es erfordert auch ein Springen über den eigenen Schatten. Trauen Sie sich! Ihre Leser werden es Ihnen danken. (Und Sie sich selbst später auch, versprochen.)

Und was ist mit den Figuren? Hier scheitern Sie ebenfalls nicht am Extremen – sondern höchstens daran, dass Sie das Ausmaß, das Extreme nicht glaubhaft gemacht haben oder es nicht zur Situation oder zur Story passt.
Sobald Sie Figuren als atmende, authentische Persönlichkeiten erschaffen und mit den Lesern emotional verbinden, sobald Sie sie entsprechend führen, entwickeln und angemessen denken, reden, handeln, fühlen lassen, werden die Leser mit ihnen (und Ihnen) mitgehen, ganz egal wohin, ganz egal wie weit.

Wenn es einem Leser dann doch mal zu extrem wird – darf er das Buch gerne weglegen. Das Weglegen wird dann, wenn es tatsächlich an einem Zuviel an Spannung lag, garantiert nur ein sehr kurzzeitiges sein.

 

Fazit zu Extremen im Roman

Extreme Ideen sind der perfekte Ausgangspunkt für Ihren Roman. Denn sie reißen Sie mit und bringen leichter weitere Ideen hervor. Plotten und Schreiben fallen Ihnen leichter.

Extreme sind dramatisch besonders ergiebig, auch rufen Sie starke Emotionen hervor und sorgen für eine große Fallhöhe: Die reichste Frau der Welt kann tiefer fallen, finanziell, als eine gutverdienende Mittelschichtlerin. Zugleich bedeuten Extreme etwas Besonderes, oft sehr Spezifisches, das Ihrer Story genau die Eigenständigkeit gibt, die Sie anstreben. Extreme weiten das Spielfeld, auf dem Sie Ihre Kreativität austoben können.

Welche Extreme in Ihren Roman passen, hängt unter anderem vom Genre ab. Phantastische Literatur und auch Humor können sehr extreme Settings und Figuren verkraften, Thriller brauchen Extreme in Spannung und Suspense.

Gehen Sie also freudig und selbstbewusst an Ihre Romankonflikte und Figuren heran. Stecken Sie rein, was Sie nur reinstecken können. Drehen Sie auf, werden Sie wild, werden Sie extrem. Es wird Ihren Lesern nicht zu viel, sondern sie werden nach mehr, mehr, mehr verlangen – und nach Ihrem nächsten Buch.

Da geht noch mehr. Trauen Sie sich!

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