Wie gelingt in Ihrem Roman die Gratwanderung zwischen Humor und Drama, zwischen Komik und Spannung?

Die TV-Serie »Barry« über einen Auftragsmörder, der Schauspieler werden will, hat mich zum Nachdenken gebracht über die empfindliche Balance zwischen Komödie und Drama.
Grundsätzlich ist es eine gute Idee, wenn Sie mit Ihrem Roman versuchen, eine große Bandbreite von Emotionen zu erzeugen. Aber manche Emotionen passen besser zueinander, manche negieren sich gegenseitig. Ein Negativbeispiel für mich waren die letzten Marvel-Filme über Thor: »Thor: Ragnarök« und »Thor: Love and Thunder«, in dem Regisseur Taika Waititi die verschiedensten Emotionen nahezu gleichzeitig bei den Zuschauern hervorrufen wollte. Doch Trauer beispielsweise funktioniert nicht, wenn sie sofort mit Humor gebrochen wird. Emotionen brauchen Zeit, sich zu entwickeln und in den Lesern zu wirken, manche mehr als andere.

Wie kriegt man es nur hin, die richtige Balance zu finden und sie über die Länge eines Romans zu halten?

Vielleicht haben Sie mit dieser Balance beim Einsatz von Humor in Ihren Romanen auch schon gerungen, vielleicht eine Haltung dazu entwickelt beim Lesen oder beim Ansehen eines Films. Ohne Zweifel scheitern eine Menge Erzählwerke, ob geschrieben oder verfilmt, weil sie die Balance verfehlen oder abrutschen auf die eine oder andere Seite.
Wie kriegt man es nur hin, die richtige – sprich: die von Ihnen als Autor beabsichtigte und beim Leser wirksame – Balance zu finden und sie über die Länge eines Romans zu halten?
Oder ist das womöglich die falsche Frage? Tatsächlich nämlich kommt es darauf an, welches Genre man mit Komik zusammenbringen will. Wie wir sehen werden, können Drama und Komik durchaus ausgewogen zusammengehen. Sobald Sie Komik jedoch mit einem Genre wie Horror oder Thriller zu etwa gleichen Teilen zusammenpferchen wollen, wird die Balance nahezu unmöglich. Wieso, das sehen wir uns an.

Was bei „Barry“ funktioniert — und was nicht

Für mich hat »Barry« zunächst eine Balance gefunden, eine sehr empfindliche – so empfindlich, dass sie zu Beginn der dritten Staffel dann doch nicht mehr gehalten hat. Ich habe die Serie abgebrochen.
Der Knackpunkt bei »Barry« war es, so dachte ich, eine Hauptfigur zu schaffen und durch die Serie zu führen, die ein glaubhafter Auftragsmörder ist, zugleich aber durchgängig komische Momente zu erschaffen. Das hat »Barry« zum großen Teil gelöst, indem die Mehrzahl der komischen Momente eben nicht von Barry ausging, sondern von anderen Figuren. Eine Idee, die Sie sich für Ihre eigenen Romane merken sollten: Wenn es zu schwierig ist, eine Figur sowohl glaubhaft komisch als auch glaubhaft dramatisch zu gestalten, verteilen Sie Komik und Dramatik, indem Sie jeweils (nur oder doch weitgehend) komische und dramatische Charaktere erschaffen. Jede Figur hat ihre Rolle.
Die dramatische Seite der Serie funktioniert, weil dem Leser gezeigt wird, wie sehr Barry das Töten verabscheut und er aus dem Leben aussteigen will, jedoch immer wieder hineingezogen wird. Die Dramatik funktioniert auch deshalb, weil man mehr über Barrys Vergangenheit erfährt, insbesondere über seine traumatischen Erfahrungen als Soldat.

Dann habe ich den eigentlichen Knackpunkt erkannt, der mir die Serie auf Dauer verleidet hat. Die Serienmacher verlangen den Zuschauern einiges ab. Was nicht schlecht sein muss, im Gegenteil. Bei »Barry« verlangen sie, dass die Zuschauer eine Figur mögen, die Menschen ermordet. Für manche Leser und Zuschauer funktioniert so etwas durchaus, wie der Erfolg der Roman- und TV-Serie »Dexter« beweist. Darin ermordet der Serienkiller Dexter ausschließlich andere Serienkiller.
Und diese Idee greift auch »Barry« zunächst auf. Barry Bergman tötet zunächst ausschließlich Verbrecher. Was im wahren Leben ethisch mehr als fragwürdig ist, ja, was viele ablehnen würden, wird in einer fiktionalen Welt durchaus von vielen akzeptiert.
Dann aber tötet Barry die Polizistin Moss. Er tötet sie aus niederen Motiven: um seine eigene Haut zu retten. Zudem ist Moss sympathisch, und, schwerwiegender noch, die große Liebe von Barrys Schauspiellehrer und Mentor Gene.
Selbst das funktioniert noch, zumindest für eine Weile, weil Barrys anschließendes Ringen mit seiner Tat die Story sehr deutlich in Richtung Drama rückt. Die dramatische Frage, aus der sich dann viel der Spannung speist: Wie geht Barry mit diesem Mord um? Wird man ihn fassen? Wird sein Gewissen siegen, wird er sich stellen? Im Kern also die Frage, die jeden Roman umtreibt: Was für ein Mensch ist dieser Protagonist?
Und dann kehrt Barry mit vollem Bewusstsein zurück ins Leben als Auftragsmörder. Das war für mich ein Schlenker zu viel.

Ich schreibe »für mich«. Heißt das also, es kommt bloß auf den Geschmack der Leser an? Womit Sie als Autor schlicht aufgeschmissen wären. Aber, keine Sorge, ich habe eine Lösung für Sie.

Die Lösung für das Humorproblem (schon diese Überschrift klingt lustig, finden Sie nicht?)

Die entscheidende Frage zunächst ist die nach den Schwerpunkten der Genres, die Sie verbinden wollen. Ein Drama zielt vorwiegend auf Emotionen, während Thriller oder Horror auf Spannung aus sind. Wie nun passt Komik hier hinein? Humor entspannt, Lachen löst Spannungen. Genres oder Romane also, die vorwiegend auf Hochspannung setzen, erweisen Sie mit Humor einen Bärendienst: Sie nehmen damit die Spannung heraus, an der Sie zuvor so akribisch gewerkelt und getüftelt haben. Daher kann ein Roman, kann eine Story nicht funktionieren, die zu gleichen Teilen Lachen und Spannung beim Leser erreichen will. Das Lachen würgt die Spannung ab.
Was sehr wohl funktioniert, wie viele Beispiele aus Literatur und Film zeigen, ist der punktuelle Einsatz von Humor in einer überwiegend spannenden Story. Ein solcher Humor kann Glanzlichter setzen und dank kurzzeitiger Entspannung den Kopf der Leser freimachen für den nächsten Spannungsgipfel. Sobald Sie jedoch dem Humor zu viel Spielraum geben, erreicht Ihr Roman seine Spannungsgipfel gar nicht erst.

Bei einem Drama hingegen, das vor allem auf intensive (Nicht-Spannungs-)Emotionen bei den Lesern setzt, etwa auf Rührung und Mitgefühl, kann der passende Humor eine neue Schattierung der Emotionen bedeuten – aber eben keine Negierung, wie sie der Humor der Spannung antut. Mit der passenden Komik also machen Sie in einem solchen Fall das Spektrum der Emotionen breiter, ohne die anderen Farben darin verblassen zu lassen.

Welche Art von Humor aber »passt«? In einem emotionsbetonten Drama die Art von Humor, die den Leser eng bei den Figuren und ihren Gefühlen hält. Denken Sie an ein liebevolles Necken, einen Witz mit Vorgeschichte, ein von den Figuren und den Lesern geteiltes Lächeln. Die Distanz zwischen Figuren und Leser hingegen schaffen Sie mit verkopftem Humor wie Ironie, Sarkasmus, Zynismus und auch mit emotionsfernem Klamauk wie Slapstick und Nonsens.

Das Zusammenbringen von Humor und Drama

Doch auch das Zusammenbringen von Humor und Drama gerät an seine Grenzen. Und zwar dann, wenn Sie mit dem Drama vor allem die Tiefe und Schwere Ihres Themas und Ihrer Figur ausloten wollen. Wie wir gesehen haben, entspannt Humor und ist daher ein natürlicher Fressfeind von Spannung. Humor erleichtert aber auch und ist daher ein Gegenspieler von schweren Dramen. Ein wenig Leichtigkeit lässt die Leser die Schwere danach wieder besser spüren. Doch zu viel Leichtigkeit, und ihr schweres Drama hebt sich in die Luft wie ein Ballon und verschwindet in den Wolken.
Humor erhellt und ist daher der Widerpart von düsteren Geschichten. Ein wenig Licht lässt die Leser danach die Dunkelheit als umso finsterer empfinden. Doch zu viel Licht und die Leser sehen, was in den Schatten lauert und finden den Ausgang aus dem Verlies. Sie erwachen aus dem fiktionalen Traum (Erzähltraum), in den Sie die Leser so schön eingelullt haben. Eine zweite Einlullung (schönes Wort, oder?) wird Ihnen eher nicht gelingen.
Entscheidend für die richtige Dosierung der Komik ist das, was nach ihrer Anwendung geschieht. Bringen Sie nur so viel Komik in den Roman, dass die Leser Ihnen das Schwere und Dunkle und Ernste weiterhin abnehmen. Denn: Haben die Leser jedoch gespürt, dass es Ihnen mit dem ernsten Thema so ernst nicht ist, überzeugen Sie sie nicht mehr vom Gegenteil. Genauso wenig, wie es Ihnen gelingen wird, die Leser noch einmal von der Bosheit Ihrer Horrorkreaturen zu überzeugen, nachdem Sie ihnen die Reißverschlüsse am Rücken ihrer Kostüme gezeigt haben. Den Anblick können sie nicht mehr vergessen.

Kann man seine Komödie mit Drama tiefer, schwerer, sie mit aufregender Action und Suspense spannender machen?

Und wie sieht es mit dem umgekehrten Weg aus? Kann man seine Komödie mit Drama tiefer, schwerer, sie mit aufregender Action und Suspense spannender machen? Wie so oft beim Schreiben gibt es hier kein eindeutiges Urteil. Doch meiner Erfahrung nach ist das noch schwieriger als der umgekehrte Weg. Hat ein Leser Ihren Roman erst einmal als Komödie oder als vorwiegend komisch akzeptiert, wird er einen Versuch Richtung Tiefgang und Spannung im besten Fall nicht ernst nehmen oder doch nicht so ernst, wie Sie das vielleicht möchten. Mir fällt hier »Thor: Love and Thunder« ein, wo Jane Forster Krebserkrankung dem Slapstick und Nonsens anderer Teile des Films gegenübergestellt wurde. Im schlimmsten Fall ruinieren Sie damit das Leseerlebnis.

Vermutlich fallen Ihnen Ausnahmen ein. Doch das werden eben genau das sein: Ausnahmen von der Regel. Und diese funktionieren womöglich aus anderen Gründen. Oder sie sind so gut geschrieben und gestaltet, dass diesem Autor der Spagat gelingt.

Gratwanderung oder Spagat?

Vielleicht können wir das abschließend als Metapher verwenden: Ein Drama oder einen Spannungsroman mit komischen Elementen aufzulockern, ist eine Gratwanderung, ein Balanceakt. Eine Komödie mit dramatischen Elementen tiefer und spannender zu machen, kommt eher einem Spagat gleich.
Wie gut ist Ihr Gleichgewichtssinn und der Ihrer Leser? Und wie flexibel sind die Leser und Sie?
Ich empfehle, bei Ihren ersten Romanen da lieber auf Nummer sicher zu gehen und sich für eine klare Richtung zu entscheiden: Komik oder Spannung. Komik oder Drama. Entwickeln Sie erst Ihren Sinn für Gleichgewicht, dehnen und trainieren Sie erst Ihre Schreibmuskeln, bevor Sie sich, bei späteren Romanen, an Balanceakten und Spagaten versuchen.

Ich wünsche gutes Gelingen.

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