Es ist erst vorbei, wenn es zweimal vorbei ist. Mindestens.

In dem Psychothriller »Promising Young Woman« (Original-Drehbuch-Oskar 2021) rächt sich die Heldin Cassandra an den Menschen, die den Selbstmord von Cassandras Freundin Nina zu verantworten haben. Und an anderen Männern gleich mit. Dieser Rachefeldzug bestimmt ihr ganzes Leben.
Eines Tages bietet sich Cassie endlich die Chance, den Hauptverantwortlichen für Ninas Niedergang zur Rechenschaft zu ziehen: Al. Über eine Social-Media-Plattform findet Cassie heraus, dass Al seinen Junggesellenabschied feiern will, in einer abgelegenen Jagdhütte. Ein idealer Ort für ihre Rache! Doch wo diese Hütte ist, weiß Cassie nicht.
Dann ereignen sich positive Dinge in ihrem Leben, sie verliebt sich in den Kinderarzt Ryan, sie spricht sich mit Ninas Mutter aus – und beschließt, den Rachefeldzug abzublasen.
Sie löscht ihr Profil auf der Social-Media-Plattform und damit auch ihre Chance, den Standort der Hütte herauszufinden. Das ist ein starkes Symbol dafür, dass ihr Rachefeldzug nun vorbei ist. Sie kann endlich ein neues Kapitel in ihrem Leben aufschlagen. Und selbst, wenn sie es sich anders überlegen sollte: Die Information über die Hütte ist für sie endgültig verloren.
So zumindest erscheint es.

Ist das also nur ein unsauberer Trick der Autorin?
Eben nicht. Ein unsauberer Trick wäre es, wenn Cassie jederzeit wieder an die Information herankäme, etwa, indem sie einfach die Website erneut aufruft oder, konfliktfrei, eine Freundin danach fragt. Das Entscheidende: In dem Moment, wo sie Ihr Profil löscht, hat Cassie tatsächlich keine Möglichkeit mehr, an die Information über den Standort der Hütte heranzukommen. Dieser ist für sie verloren. Es ist vorbei, tatsächlich vorbei.

Aber dann geht die Geschichte eben weiter. Cassie erfährt nun etwas sehr Unschönes über ihren neuen Freund Ryan. Und damit zu tun hat, dass dieser den Standort von Als Party-Hütte kennt. Denn er ist ebenfalls zum Junggesellenabschied eingeladen. Doch, und auch das macht den Trick der Autorin sauber, Ryan gibt Cassie die Info nicht einfach so. Sprich: Wir haben einen Konflikt. Sie muss Ryan erpressen, um den Standort zu erfahren.

Die Autorin mogelt sich also nicht einfach so durch. Sie gibt den Zuschauern (oder Lesern) ein echtes »Vorbei«. Und sie gibt ihnen einen Konflikt, den die Antiheldin Cassandra lösen muss, um dann doch noch einen Weg zu finden, die verlorene Info zu erhalten.

Prüfen Sie in Ihrem Roman solche Punkte ohne Wiederkehr. Sind sie echt oder sind sie fake, nur vorgeschoben? Machen Sie sie – zu diesem Zeitpunkt im Roman – final! Danach finden Sie im Verlauf der Geschichte einen Weg um dieses Endgültige herum. Das erfordert mehr Arbeit, aber diese Mühe lohnt sich.
Der Unterschied für den Roman nämlich ist gewaltig. Sie können ihn durchaus vergleichen mit dem Unterschied zwischen authentischen Gefühlen und melodramatischem Kitsch. Das Vertrauen der Leser in Sie und in Ihren Roman stehen auf dem Spiel – ein Vertrauen, das Sie auf keinen Fall verspielen wollen. Zugleich ist dieses Vorgehen auch eine Chance, Ihren Lesern ein sehr viel intensiveres Erlebnis zu schenken. Mit solchen Mitteln erst erschreiben Sie sich Fans.

Achtung: Nicht jeder Punkt ohne Wiederkehr sollte umgangen werden oder umgangen werden können. Manche dieser so bedeutsamen Punkte – beispielsweise die Entscheidung am Ende des ersten Akts, über die Schwelle eine neue Welt zu betreten – sollten final bleiben.
Der wichtigste Punkt ohne Wiederkehr jedoch, das wichtigste »Vorbei«, das Sie endgültig machen, nur um es dann doch zu umgehen, ist …? Richtig: der Moment des »Alles verloren« gegen Ende des zweiten (von drei) Akten. (Sofern Ihr Roman für den Helden ein Happy End bereithalten soll.)

Beispiel:
Zerschlagen Sie die kostbare Ming-Vase, die die Heldin geliebt hat und die sie brauchte, um das finale Ziel zu erreichen. Lassen Sie sie nicht bloß auf ihrem Podest wackeln, sondern in tausende Teile zerbrechen, unrettbar. Die Heldin ist am Boden zerstört. Das Ziel ist damit unerreichbar geworden. Die Vase ist kaputt. Und das bleibt sie auch.
Doch dann erkauft die Heldin sich die Information, dass es noch eine weitere solche Vase gibt – mit der sich ihr Ziel ebenfalls erreichen lässt. Im Moment der Zerstörung weiß die Heldin nichts von dieser zweiten Vase, sie hat auch keine Möglichkeit, an diese Information oder gar an die Vase zu kommen. Dann aber gibt sie eben doch nicht auf, stochert weiter, überwindet Hindernisse und wird fündig!

Beim Finden einer solchen Umgehung sollten Sie unbedingt an die Leser denken: Womit überzeugen Sie die Leser, dass das »Vorbei« ein echtes »Vorbei« ist? Und wie reagieren sie auf Ihre Umgehung? Erst wenn diese einen echten Mehrwert in Form von Dramatik, Emotionen und dem Gefühl poetischer Gerechtigkeit mitbringen, sind Sie am Ziel. Und ich gratuliere Ihnen zum sehr viel besseren Roman.


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