Was wollen Ihre Leser? (Die vier Arten von Plots für Ihren Roman)

Was wollen die Leser? Diese Frage treibt uns alle um. Doch was, wenn es die falsche Frage ist? Denn offensichtlich gibt es »die Leser« als homogene Gruppe ebenso wenig wie »die Autoren«. Vielleicht sollten wir die Frage präzisieren: »Was wollen meine Leser?« Oder, weil auch diese Frage keine leicht zu beantwortende ist: »Für welche Leser schreibe ich?«

Dass die Unterschiede zwischen den Lesern gewaltig sind, ist keine Überraschung. Doch hängen diese Fragen eben auch stark mit der Art von Romanen zusammen, die Sie schreiben. So las ich kürzlich mal wieder einen Grisham, »Der Partner«. Ein wie gewohnt interessanter Fall trifft auf Charaktere, die kaum mehr als Rollen sind. Es fehlen Charaktere, mit denen man mitfühlt, ganz zu schweigen solche, mit denen man sich identifiziert. Keiner der Charaktere durchläuft eine Veränderung, alle sind am Ende dieselben geblieben, die sie schon zu Beginn waren. Nicht ein Charakter bleibt im Gedächtnis. Auch ein tiefes emotionales Erlebnis wird dem Leser bei der Lektüre nicht zuteil. Dennoch unterhält der Roman auf angenehme Weise.

Diese mangelnde emotionale Beteiligung des Lesers schadet Grishams Erfolg offenbar nicht. Laut Wikipedia hat er an die 250 Millionen Bücher verkauft. Regelmäßige Leser Grishams lesen ihn nicht wegen der eindringlichen Gefühle oder der tiefen Charaktere. Vielleicht wollen sie Emotionen und Tiefe sogar bewusst vermeiden. Stattdessen suchen sie etwas, was ihren Kopf beschäftigt, ohne dass jemand versucht, ihre Gefühle anzusprechen oder ihr Herz schneller schlagen zu lassen.
Von dieser Sorte Leser gibt es offenbar viele. Nicht nur Grishams Romane sprechen sie an. Buch findet Leser, Leser findet Buch. Alles passt.

Diese sehr verschiedenen Arten von Lesern erfordern eben auch sehr verschiedene Arten von Romanen – und von Romanplots. Der klassische oder gar archetypische Plot, der sich aus der Entwicklung eines Charakters ergibt, macht bei Grisham und vergleichbaren Romanen keinen Sinn. Doch das muss er nicht. Denn es gibt eben auch andere Arten, einen Roman zu plotten. Diese kommen jedoch meist zu kurz oder werden ignoriert.

Ähnliche Probleme wie bei den charakterlosen Plot von Grisham kriegen Plotwillige, wenn sie komplexe Geschichten mit vielen Erzählsträngen schreiben möchten, ohne dass ein Charakter der zentrale Protagonist ist. Denken Sie an Monumentalwerke wie »Lied von Eis und Feuer« (Game of Thrones) oder Stephen Kings »The Stand«. Auch das geht. Natürlich. Und auch so etwas kann man plotten. Nur eben nicht von einem zentralen, sich entwickelnden Protagonisten ausgehend.
Das Gleiche gilt für Romane, die sich vor allem für die von ihnen erschaffene Welt interessieren. Oder für ein Thema, das den Autor umtreibt.

Eine zweckmäßige Unterteilung von Plots könnte also so aussehen:
* Charakterplot: Ein zentraler Protagonist bestimmt durch seine Veränderung den Plot.
* Problemplot: Ein zentrales Problem (wie bei Grisham ein juristischer Fall) steht im Mittelpunkt des Romans – und, ganz entscheidend, es ist dieses Problem, das sich entwickelt und dem Plot bestimmt.
Ein Sonderfall des Problemplots ist der Antagonistenplot. Hier ist eine antagonistische Kraft (personifiziert oder nicht) das Problem oder sorgt dafür. Entsprechend bildet er, sie oder es den roten Faden für den Plotverlauf.

* Weltplot: Die Welt des Romans steht im Zentrum. Und einen Roman haben Sie eben auch nur dann, wenn sich diese Welt entwickelt. Denken Sie an Romane, die über einen Krieg berichten. Oder über ein die Galaxie umspannendes Reich von Aliens.

* Themenplot: Ein Thema steht im Zentrum des Romans. Die Subplots und Erzählstränge behandeln dieses Thema.
Etwa in dem Roman »City on Fire« von Garth Risk Hallberg. Werbetext: »Neujahr 1977. Ein Schneesturm zieht über New York, Feuerwerk erleuchtet den Himmel und im Central Park fallen Schüsse. Die Ereignisse der Nacht bringen eine Gruppe unvergesslicher Menschen zusammen: die schwerreichen Erben William und Regan, zwei Punk-Kids, einen besessenen Magazin-Reporter und einen Cop. Sie alle leben und lieben hier, in der großen Stadt, die bankrott und gefährlich ist und zugleich vor Energie platzt. Als dann am 13. Juli 1977 die Lichter ausgehen, gerät die Stadt in den Ausnahmezustand – und nach dem Stromausfall ist kein Leben wie zuvor. »City on Fire« ist ein großer Roman über Liebe, Betrug und Vergebung, über Kunst, Wahrheit, Punk und Rock ’n’ Roll – kraftvoll, überbordend, außergewöhnlich.«
Das Thema ist der Stromausfall. Der steht im Mittelpunkt und wirkt sich aus auf die Charaktere. An diesem Beispiel sehen Sie, dass die Grenzen zwischen den Plotarten nicht immer leicht zu ziehen sind. Aber je klarer Sie eine Grenze ziehen können, desto trennschärfer kann Ihnen eben auch Ihr Plot und damit der Roman gelingen.

Hauptsache, und das verbindet diese vier Arten von Plots, das zentrale Element Ihres Romans durchläuft eine dramatische Entwicklung. Denn ohne Entwicklung, ohne Veränderung haben Sie keinen Roman. Auf keinen Fall und in keinem der genannten Fälle.

Dramatische Veränderungen sind Ihr Roman. Bei jedem Plot.

Mehr zum Plotten in meinem Ratgeber „Plot & Struktur“:

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