Was macht eigentlich eine gute Story zu einer großartigen? Genauer: Was katapultiert die Qualität des Schreibens vom Mittelmaß in die Erste Liga?
Beispielhaft sagt uns das Episode 6 der zweiten Staffel der TV-Serie »Breaking Bad« (um den Chemielehrer Walther White, der zum Drogenboss wird). In einem der beiden Erzählstränge will sich Jessie, Walthers Sidekick, das Geld zurückholen, das zwei Junkies einem seiner Drogendealer geraubt haben. Jessie findet die müllkippenmäßige Behausung des Junkie-Paars und findet – einen aufs Grausamste vernachlässigten schmutzigen und hungrigen kleinen Jungen. Während er auf die Eltern wartet, macht er dem Jungen etwas zu essen und spielt mit ihm. Dann endlich kommen die beiden Junkies heim, Jessie bedroht sie mit der Waffe. Doch weil er im Kern (noch?) ein guter Kerl ist, bringt er es nicht fertig, seinen Drohungen mit Gewalt Nachdruck zu verleihen. Er fuchtelt nur mit seinem Revolver herum, schießen tut er nicht.

Nach einigem Hin und Her kann Spooch, Herr Junkie, Jessie beschwichtigen. Er bietet ihm einen Geldautomaten an, den er geklaut hat – der jedoch noch zu öffnen ist. Die beiden mühen sich ab, es kommt zum Handgemenge, Jessie wird niedergeschlagen und besinnungslos liegen gelassen. Derweilt versucht Spooch, dem widerspenstigen Automaten von unten beizukommen. Bei einem Streit lässt Frau Junkie den Automaten auf Spoochs Kopf fallen. Was ein Geräusch macht, das schon ein wenig nach Spooch klingt, oder doch eher wie »Splutsch«. Herr Junkie raucht sein Meth ab da in der Hölle.

So weit, so gut. Die Szenen sind gut geschrieben, spannend erzählt, alles in allem qualitativ hochwertige Schreiben. Doch den Tick zum Großartigen legt die Episode in ihrer allerersten Szene.
Darin wartet Jessie an einer Straßenecke auf den beraubten Dealer, der ihm Spoochs Adresse besorgen sollte. Während er wartet, spielt er mit dem Fuß mit einer Kakerlake, verbaut ihr den Weg und nimmt sie sogar auf seine Hand. Tut ihr aber nichts.
Dann kommt sein Dealer und noch bevor er den Mund aufmacht, tritt er erst einmal die Kakerlake platt.

Diese Szene fasst den kompletten Erzählstrang der Episode zusammen und baut ihn in eine funktionierende kleine Situation ein. Wer sich ein wenig mit Erzählen auskennt, sieht sofort die ungefähren Zusammenhänge, zumindest ihren Kern: Jessie wird den Dealern nichts antun.
Rückblickend gewinnt die Szene dann noch mehr Konturen: Die Kakerlake ist Spooch und Familie, und die lebt ja auch in einem Müllkippenhaus. Dass Jessie die Kakerlake auf die Hand nimmt, findet seine Entsprechung in seiner Fürsorge für den verwahrlosten Jungen. Und dass sein Dealer die Kakerlake zertritt, genau das erlebt der Zuschauer, als der Geldautomat Spoochs Schädel zerquetscht.

Die kleine Szene macht die ganze Episode dichter, sie funktioniert als Vorausdeutung und bietet dem aufmerksamen Zuschauer intellektuelles Vergnügen. Doch selbst der weniger aufmerksame Zuschauer wird diese Verdichtung und thematische Intensivierung auf einer unbewussten Ebene spüren.
Und beide sind sich am Ende der Episode einig, dass sie gerade etwas erzählerisch Besonderes gesehen haben.

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Ein weiteres Mittel, einen guten zu einem großartigen Roman zu machen, sind überraschende Wendungen.