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Identifikation mit dem Protagonisten: Fünf Schritte

Identifikation mit dem Protagonisten: So nicht

Die deutschen »Literaten« machen es einem nicht leicht. Mein Hauptproblem in vielen der Texte, auf die der Verlag das Label »Roman« anscheinend einzig aus Gründen der Verkäuflichkeit druckt: Die Charaktere interessieren mich kein bisschen. Uninteressante Menschen tun aus unverständlichen Motiven ziellos uninteressante Dinge. Oder, noch schlimmer: Sie tun gar nichts.
Manche Leser haben damit kein Problem. Für sie ist der Sprachgenuss wichtiger oder das Thema oder die literarische Relevanz. Für mich und wahrscheinlich für die meisten Leser auch (selbst wenn ihnen das selten bewusst sein dürfte) aber gilt: Ich will Stunden meines Lebens nicht mit (fiktiven) Personen zubringen, die mich weder interessieren noch berühren. Wer das für Eskapismus hält, hat nicht begriffen, worum es beim Lesen und auch beim Schreiben eines Romans geht.

Identifikation mit dem Protagonisten: Grundlagen

Dabei ist es gar nicht so schwierig, Charaktere zu erschaffen, die den Leser sowohl intellektuell als auch emotional fesseln. Natürlich ist nicht jeder Charakter gleich ein Huckleberry Finn oder ein Hannibal Lecter. Aber er oder sie sollte faszinierend genug sein, die Aufmerksamkeit eines Lesers über mehrere hundert Seiten hinweg zu fesseln. Und das ist gar nicht so schwierig, wie wir gleich sehen werden. Von besonderer Bedeutung ist, wie auch im Leben, der erste Eindruck, den ein Charakter beim Leser hinterlässt.

Identifikation mit dem Protagonisten: Am Beispiel von Brandon Sandersons Shallan

In seinem Roman »Words of Radiance« (Tor 2014; zweiter Band des »Stormlight Archive«; dt. Teil 1: »Die Worte des Lichts«) stellt uns Autor Brandon Sanderson seine siebzehnjährige Protagonistin Shallan als ebenso vorlaut wie wortgewandt vor. In ihren besten Momenten sagt Shallan Dinge, die zu sagen sich andere nicht trauen – und das auf eine witzige und bisweilen sehr spöttische Art.

Damit zielt Sanderson direkt auf viele Leserinnen, nämlich die, die auch gerne mutiger wären, die Wahrheiten aussprechen und so wortgewandt spotten möchten. Der Autor gibt diesen Leserinnern mit Shallan eine Identifikationsfigur. Aber das ist erst der Anfang dieses Prozesses der Charakterzeichnung.
Denn – und das ist der Clou – gerade diese Eigenschaft, die viele Leserinnen auch gerne hätten, wird von Shallan in erster Linie nicht als Gabe angesehen, sondern als Last. Sie schämt sich für das so unbedacht Herausgeplapperte. Diese Art von Relativierung, von Understatement, erreicht beim Leser dann noch mehr: Shallan wird sympathischer und sie wird tiefer.
Man kann sich gut vorstellen, dass ihr Mundwerk Shallan noch in richtige Schwierigkeiten bringen wird. Wenn diese Schwierigkeiten so groß werden, dass sie Shallan an der Erreichung ihres Ziels hindern, wird aus einer kleinen Charakterschwäche vielleicht sogar ihr fatal flaw, ihr Fehler, der ihr zum Verhängnis wird.


Mehr Tipps & Anleitungen: Meine Schreibratgeber für Ihren Roman


Identifikation mit dem Protagonisten: Die fünf Schritte für Ihren Roman

1. Geben Sie Ihrem Protagonisten eine positive Eigenschaft, die viele Ihrer Leser auch gerne hätten.
Beispiel: Hohe Attraktivität der Heldin, die Männer drehen sich auf der Straße nach ihr um.

2. Verwenden Sie solche Eigenschaften, die bedeutsam für den Roman sind.

Beispiel: Wenn Ihre Heldin genial gute Weihnachtsplätzchen backen kann, ist das womöglich eine Eigenschaft, die viele Leserinnen auch gerne hätten. Aber bei der Suche nach einem verschollenen Inkaschatz, wo die Heldin im Dschungel auf Dämonen trifft, kann diese Eigenschaft eher nicht zutage treten. Viel nutzen werden ihre Backkünste ihr auch nicht. Es sei denn, der Dämon wäre das Krümelmonster.


Video: Auch das Krümelmonster wird jetzt politisch korrekt und isst Obst. Keksliebe als Charakterschwäche?

3. Verwenden Sie bevorzugt Eigenschaften, die emotional besetzt sind oder starke Gefühle auslösen können.
Beispiel: Schönheit kann das, keine Frage. Und die Fähigkeit, eine Dämonenfangmaschine zu bauen? Im Beispiel oben wäre diese durchaus bedeutsam für den Roman. Aber das Gefühlspotenzial ist eher gering.

4. Lassen Sie den Protagonisten selbst diese Eigenschaft zumindest relativieren.
Beispiel: Die Heldin macht sich mit einer Freundin über die Blicke der Männer lustig.

Hier aber ist Vorsicht geboten, denn es gibt mehrere Fallstricke:

a) Die Relativierung sollte glaubhaft sein.

Beispiel: Falls die umwerfend aussehende Heldin nicht weiß, dass sie umwerfend aussieht, lässt sie das dumm oder zumindest unaufmerksam ihrer Umgebung gegenüber erscheinen.

b) Die Relativierung sollte Auswirkungen auf das Leben, aufs Handeln, Denken und Fühlen der Heldin haben.

Beispiel: Die Heldin kennt die Wirkung Ihres Äußeren auf Männer. Sie benutzt ihr Aussehen, um Ziele zu erreichen, etwa um einen Job zu ergattern. // Die Heldin ist von den Blicken der Männer genervt. // Die Heldin fühlt sich ungerecht behandelt, denn sie würde lieber mal mit einem Mann flirten, der sich nicht von ihrer Schönheit verunsichern lässt. // Die Heldin fühlt sich unglücklich, weil sie denkt, das Studium war für die Katz, sie hätte die Assistentenstelle auch bekommen, wenn sie nur einen kurzen Rock angezogen hätte.

c) Die Relativierung sollte kein Selbstzweck sein, sondern Auswirkungen auf den Roman haben.

Beispiel: Weil die Heldin von diesem Mann beeindruckt ist, der sich von ihrer Schönheit nicht verunsichern lässt, fährt sie mit ihm zu seinem einsamen Landhaus und mitten in die Höhle des Löwen, wo sie um ihr Leben kämpfen muss.


Diese vier Schritte bringen Sie schon sehr weit auf dem Weg zu einer starken Identifikationsfigur. Sie müssen dort aber nicht stehenbleiben. Wenn Sie weitergehen wollen:


5. Lassen Sie bei Ihrem Protagonisten diese an für sich positive Eigenschaft zu einem verhängnisvollen (Charakter-)Fehler werden. Und sorgen Sie dafür, dass dieser Fehler ihm oder seinem zentralen Romanziel tatsächlich massiv schadet.

Beispiel: Weil die Heldin sich so daran gewöhnt hat, allein wegen ihrer Schönheit begehrt zu werden, übersieht sie den Mann, der sie auch, aber nicht nur wegen ihres Aussehens liebt. Sie kanzelt ihn ab, weil sie das immer so macht, ohne sich näher mit ihm zu befassen. Pech, dass dieser Mann der Freund eines Mafiabosses ist. Als der Mann sich von der Frau abwendet und sie nicht mehr beschützt, wird ihre Tochter vom Mafiaboss entführt.


Identifikation mit dem Protagonisten: Charaktere und Plot entwickeln

Eine solche Eigenschaft mit Identifikationspotenzial kann Ihnen gut als Ausgangspunkt für die Entwicklung des Charakters dienen – und im weiteren auch für die Entwicklung des Plots. Im Beispiel steht die Entführung der Tochter der Heldin in einem schlüssigen Zusammenhang zum guten Aussehen der Heldin.
Das Interessante an dieser Methode: Wenn hundert Autoren dieselbe bestimmende Eigenschaft eines Charakters als Grundlage fürs Plotten nehmen, werden daraus hundert ganz unterschiedliche Geschichten enstehen.
Haben Sie also keine Angst, als Ausgangsbasis eine scheinbar abgenutzte Eigenschaft zu verwenden wie hier im Beispiel die wohl am stärksten abgenutzte von allen. Sie werden daraus Ihre ganz eigene Geschichte schaffen.

Danke fürs Lesen. Und jetzt weiter im Text. In Ihrem.

Stephan Waldscheidt

(c) SW 2014


Identifikation mit dem Protagonisten: Nachtrag mit einem neuen Aspekt

Ich bin auf folgenden Artikel zum selben Thema „Identifikation“ gestoßen, der interessante weitere Aspekte beleuchtet:
http://filmschreiben.de/fuer-mehr-empathie-und-weniger-identifikation/
Meine Antwort darauf im Kommentar der Seite deshalb auch hier:


„Ist es nicht schade, dass ausbleibende Identifikation ein Ausschlusskriterium bei unserem Umgang mit Geschichten geworden ist? “
Ist das tatsächlich so? Es gibt doch eine Menge Geschichten, ob in der Literatur oder im Film, wo wir uns als Rezipienten, Zuschauer, Leser nicht identifizieren sollen und schon gar nicht müssen. Die aber finden sich eher in der ernsteren Literatur oder auch in anspruchsvolleren Filmen. Aber eben nicht nur dort. In Komödien oder auch Animationsfilmen schaut man auf den Betrachter hinab, etwa in „Ich — einfach unverbesserlich“ identifiziert man sich nicht mit dem Protagonisten Gru. In manchen Komödien lacht man über den Protagonisten, will aber nicht unbedingt in seinen Schuhen stecken.

„Ich glaube, dass es sehr wertvolle Erzählungen sein können, bei denen wir uns nicht mit dem Protagonisten identifizieren und die Geschichte durch ihn erleben, sondern ihn suchen und erforschen müssen, um ihn vielleicht zu verstehen. “
Absolut 🙂

Der Grund, weshalb so viel über die Identifikation gearbeitet wird: Sie ist die einfachste Möglichkeit, dem Zuschauer oder Leser ein emotional starkes Erlebnis zu verschaffen. Das geht auch anders, aber erfordert dann größere Meisterschaft. Insofern ist es nur natürlich, dass die Identifikationsabsicht so beherrschend in vielen Geschichten ist.


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