Was die Leser selbst einem Bestseller nicht durchgehen lassen

Zur Bedeutung der Erzählstimme auch für Ihren Roman

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Wie essenziell der Erzähler und seine Stimme sind, durfte ich gerade wieder in einem Roman eines meiner liebsten Thrillerautoren feststellen, in »Schutzlos« von Jeffery Deaver. (Dass der Mann nicht Jeffrey heißt, wie sich das gehört, sondern Jeffery, ist mir erst aufgefallen, nachdem ich schon mehrere Bücher von ihm gelesen hatte. Die Wahrnehmung ist heimtückisch.)

Der Roman um einen Personenschützer wird aus der Ich-Perspektive personal erzählt. Doch selbst diese Erzählperspektive, die ja eigentlich ideal ist, um Nähe herzustellen, nimmt den Leser nicht so recht für den Erzähler und Protagonisten Corte ein.
Was auch Besprechungen auf Amazon zeigen:
»Der Protagonist Corte ist … ein absoluter Perfektionist in seinem Job, aber ansonsten auch ein so knochentrockener Typ, dass es einem phasenweise schon schwerfällt, ihn als Sympathieträger einzustufen.«

Anders als Deavers Starprotagonist Lincoln Rhyme fehlt Corte jeder Humor. Was Corte selbst auch eingangs zugibt. Dadurch kommt man dem Erzähler nur schwer nahe, vor allem aber hört man ihm nicht so gerne zu, weil es ihm nicht nur an Humor fehlt, sondern allgemein an Emotionen.

Der Plot ist, wie immer bei Deaver, über jeden Zweifel erhaben. Der Erzähler und insbesondere seine Stimme verhindern jedoch, dass der Roman einen mitreißt. Vor allem darum, vermute ich, war der Roman kein sonderlicher Erfolg und blieb der einzige mit dem humorlosen, knochentrockenen Erzähler. (Autoren wie Deaver starten ab und an Versuche mit neuen Protagonisten.)
Dass der Roman dennoch recht gut bewertet wird (wenn auch nicht euphorisch), liegt wahrscheinlich daran, dass das Thriller- und Krimi-Genre à la Deaver stark rational und plotzentriert ist.

Fazit: Selbst ein Großmeister wie Deaver kommt nicht mit allem durch. Dazu gehört offenbar auch eine suboptimale Erzählstimme. Arbeiten Sie (noch mehr) an den Stimmen Ihrer Erzähler! Das gilt umso mehr, je emotionsorientierter Ihr Genre ist.
Manche Dinge beim Schreiben können Sie wettmachen, andere nicht. Zu diesen anderen Dingen gehört eben auch die Erzählstimme.

Daher lesen sie doch mal lieber in meinen Ratgeber „Die Stimme: Leser verzaubern mit den Stimmen von Autor, Erzähler und Charakter“ hinein: