Schwätz oder kräh’ — So schreiben Sie einen SM-Roman (Satire! Glaube ich …)


Es ist höchste Zeit, auf den Sadomaso-Zug aufzuspringen, bevor Eckart von Hirschhausen damit auf Tour geht und Donald Trump US-Präsident wird. (Ups.) Und, nein, mit dem Sadomaso-Zug meine ich nicht den ICE von Hamburg nach Stuttgart, bei dem im tiefsten Winter die Heizung ausfällt, aber dafür die Klimaanlage die Temperaturen auf angenehmem Niveau hält. Für Tiefkühlhähnchen.

Von einem Fachmann habe ich mir auch gleich einen Darkroom einrichten lassen — Recherche für meinen nächsten Bestseller, „Schwätz oder kräh’“.
Als ich dann jedoch bei der Suche nach Peitschen, Nippelklemmen und Handschellen in ein Becken mit Entwicklerflüssigkeit fasste, beschloss ich, meine Recherchen dort fortzusetzen, wo man mich besser versteht als mein Freund, der Fotograf.

Bei meinen Recherchen habe ich nicht nur Erschütterndes über die Natur des Menschen herausgefunden, sondern auch das vollkommen schmerzfreie Rezept für den ultimativen Sadomaso-Roman entdeckt.

1. Jeder Sadomaso-Roman ist im Kern eine Liebesgeschichte.

Und jeder Liebesroman ist im Kern eine Sadomaso-Geschichte. Daher ist es im Prinzip egal, worüber Sie schreiben, ob über die Lust an der Unterwerfung im Darkroom oder die Unterwerfung der Lust in einer Ehe, am Ende kommt doch immer ein und dieselbe Story heraus: Junge trifft Mädchen. Sie verlieben sich. Sie quälen sich. Junge trifft ein zweites Mädchen. Sie haben unbeschreiblichen Sex in einem heruntergekommenen Hotelzimmer (ohne Frühstück). Erstes Mädchen wirft Jungen raus (ohne Frühstück). Ende. Um die Sache Ihren ganz individuellen Dreh zu geben, kombinieren Sie die Versatzstücke in beliebiger Reihenfolge beliebig oft. Fertig ist die Grundstruktur. Aber bevor Sie loslegen, sollten Sie erst mal frühstücken.

2. Jede Sadomaso-Geschichte ist im Kern eine Menge Papierkram.

Da werden Vereinbarungen getroffen, Verträge aufgesetzt, Safewords ausgemacht (besonders beliebt: Schilddrüsenunterfunktion), man diskutiert über Klauseln (»Also gut, kommen wir zum Punkt Bondage.« Er wendet sich wieder der Liste zu.*) und versteigt sich im Kleingedruckten: Anhang 3 / Soft Limits / Folgende Soft Limits sind von den Parteien zu besprechen: / Erklärt sich die Sub einverstanden mit: (…) Hard Limits / (…) Kein elektrischer Strom (egal, ob Wechsel oder Gleichstrom) (…) Zusätzliche Grenzen und Sicherheitsbestimmungen können schriftlich vereinbart werden.*
Hier sehen Sie gleich, ob das Schreiben eines verd… S-&-M-Romans das Richtige für Sie ist. Ahnung von Sex oder Erfahrung mit seinen abseitigeren Spielarten haben Sie nicht? Kein Problem. Viel wichtiger ist es, dass Ihnen kaum etwas größeres Vergnügen bereitet, als stundenlang mit Ihrem Versicherungsvertreter zu diskutieren, vorzugsweise über das Kleingedruckte auf Seite 117 Ihrer Privathaftpflichtpolice (wird übrigens auch gerne als Safeword genommen).

3. Jede Sadomaso-Geschichte ist im Kern die Geschichte zweier Menschen.

Wenn Sie keinen Ärger mit den Tierschützern haben wollen, belassen Sie es dabei. Der Katze Ihrer Heldin und dem Rauhaardackel Ihres Helden sollten Sie den Zugang zum Darkroom kategorisch verwehren. Mit auch mal ein bisschen gegen ihren Willen gequälten Frauen – und Männern sowieso – hat der Leser in der Regel kein Problem. Auch ein Schaf in Strapsen lässt er Ihnen durchgehen. Für ein Meerschweinchen auf der Streckbank aber werden Sie kein Verständnis wecken. Nein, auch nicht, wenn die Darstellung literarisch besonders gelungen ist.

4. Jede Sadomaso-Geschichte ist im Kern die Entwicklungsgeschichte einer Heldin von einer unzufriedenen Frau mit niedrigem Selbstwertgefühl zu einer multipel befriedigten Frau mit niedrigem Selbstwertgefühl und striemigem Po.

Das Unzufriedene drücken Profis wie E. L. James bereits im Einstiegssatz aus: Frustriert betrachte ich mich im Spiegel.*
Mögliche Varianten für Ihren Roman: »Weinend rasiere ich mir die Beine.« – »Seufzend zupfe ich mir die Wimpern.« – »Unglücklich knete ich meinen Hüftspeck.«

5. Jede Sadomaso-Geschichte ist im Kern, sofern sie sich verkaufen soll, die Geschichte einer devoten Frau und eines dominanten Mannes.

Die umgekehrte Variante verkauft sich schlechter als die Frauenquote bei den Muslimbrüdern.

6. Jede Sadomaso-Geschichte ist im Kern ein Lehrbuch »Einführung in den Sadomasochismus.«

Die unbedarfte Heldin entwickelt sich im Lauf der Handlung zur Spezialistin für a) Schmerzen (Aua, das brennt …*), b) rhetorische Fragen (Wieso um alles in der Welt ist all das so unglaublich erotisch?*), c) Warenkunde aus dem Sexspielzeugkatalog (»Das ist ein Flogger«*).

7. Jede Sadomaso-Geschichte ist im Kern die Geschichte eines Mädchens, das einen superreichen Mann trifft, der in einem Hochhaus lebt, das an einen Phallus erinnert (= Vorausdeutung).

Oder an einen kahlen Flogger. (Mein Ziel ist die Zentrale von Mr. Greys weltweit operierendem Unternehmen. Es handelt sich um ein zwanzigstöckiges Bürogebäude aus Glas und Stahl, die ultimative Phantasie eines Architekten von einem Zweckbau.*)

8. Jede Sadomaso-Geschichte ist im Kern die Geschichte einer Erziehung.

Das ist es, was ihn für Leserinnen und Leser mit Kindern so aufregend, ja, exotisch macht. Hier ist jemand, der tatsächlich gerne gehorcht und sich bei Ungehorsam auch noch gerne bestrafen lässt (Ich gehorche, ohne zu zögern.*).
Aus diesem Grund stellen Buchhändlerinnen mit Kindern den Roman fälschlicherweise oft ins Regal mit Fantasy.

9. Jede Sadomaso-Geschichte ist im Kern ein philosophisches Traktat.

Mit einem bisschen Philosophie machen Sie den Helden vom einfältigen Frauenschänder im Handumdrehen zum lebensklugen Dom. Gehen Sie aber mit der Philosophie nicht zu sehr in die Tiefe, um Ihre Leser nicht zu verschrecken.
Beschränken Sie sich auf Philosophen mit einfachem Namen wie Kant oder Platon und Erkenntnisse wie »Und denk dran, die größte Angst ist die in deinem Kopf.«* Lassen Sie Ihre Heldin darauf auf keinen Fall so antworten: »Da bin ich beruhigt. Die Angst in meinen Füßen hat mir echt Sorgen gemacht.« Devote Frauen sind keine Klugscheißer.

(…)


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*) Alle Zitate stammen aus »Shades Of Grey – Geheimes Verlangen« von E. L. James (Goldmann 2012).