So belegen Sie Motive und Themen

Wiederkehrende Motive sind ein auch auf schriftzeit.de wiederkehrendes Thema. Wie in der Musik verleihen sie einer Geschichte eine Geschlossenheit über einen längeren Zeitraum und viele Veränderungen und Variationen hinweg. Zudem bilden sie einen emotionalen Anker – an anderer Stelle gelernte Gefühle werden beim Wiederaufgreifen des Motivs erneut angesprochen und damit im Leser abgerufen. So können Motive auch für ein intensiveres emotionales Lese-Erlebnis sorgen.

Zwei unterschiedliche Arten eines Motivs / Themas und entsprechend unterschiedliche Möglichkeiten, damit umzugehen, werden in der sechsten Folge der dritten Staffel der HBO-Serie »Game of Thrones« sehr wirkungsvoll vorgeführt (Der Aufstieg / The Climb, USA 2013; Drehbuch: David Benioff & D. B. Weiss, Regie: Alik Sakharov).

Der Film beginnt damit, dass Arya Stark mit Pfeil und Bogen auf eine Strohpuppe schießt. In einer Großaufnahme sieht man drei Pfeile, einen im Kopf, einen in der Brust, einen zwischen den Beinen stecken.
Dieses Bild wird am Ende der Folge aufgegriffen. King Joffrey sitzt mit der Armbrust in seinen Gemächern. Ihm gegenüber ist eine Frau an den Pfosten seines Himmelbetts gefesselt. Sie ist tot, ihr Körper von Pfeilen übersät.

Das Beispiel zeigt, dass ein reines Aufgreifen des Motivs nicht immer stark genug ist. Hier erlebt der Zuschauer eine deutliche Zuspitzung: von der Strohpuppe zu einem Menschen. Neben der Zuspitzung bietet dieses Motiv aber noch einen weiteren Zusammenhalt, der über den optischen hinausgeht und das Motiv somit noch stärker macht.
Arya hasst Joffrey. Einer ihrer Pfeile ist immer für den jungen König reserviert. Die Geschlossenheit dieses Motivs geht weiter. Der Pfeil, der zwischen den Beinen der Strohpuppe steckt, war symbolisch für Joffrey bestimmt – und dieses Sexuelle in dem Motiv findet sich am Ende, verstärkt wieder: Die Tote war eine Hure, der Leichnam ist nackt, und der feige Joffrey fürchtet sich vor Frauen und ihrer Sexualität.

[unten geht’s weiter im Text …]
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An einer anderen Stelle derselben Folge sprechen Ygritte und Jon Snow über Loyalität. Igrid erklärt, dass ihr allein die Loyalität zu ihm, ihrem Mann, wichtig sei. Die Loyalitäten der Gruppe der Wildlinge unter Mance Rayder, Ygrittes Seite, und die Loyalitäten der Gruppe der Night’s Watch, Jon Snows Seite, seien weniger wert.
Loyalität ist hier sowohl Motiv als auch Thema. Sie wird später aufgegriffen. Doch ähnlich wie im Beispiel mit den Pfeilen oben erfährt das Motiv eine Steigerung.

Zusammen mit anderen Wildlingen besteigen Jon Snow und Ygritte die gewaltige Mauer aus Eis, die als Wall von zweihundert Metern Höhe das Land Westeros von den wilden Gegenden im hohen Norden trennt. Als ein Eisbrett abgeht, verlieren die Steighaken von Ygritte und Jon Snow ihren Halt. Sie stürzen. Hilflos baumeln sie über der Tiefe. Nur noch das Seil, das sie mit zwei anderen Wildlingen verbindet, bewahrt sie vor dem Tod. Doch das Gewicht ist zu groß. Eine der Wildlinge entscheidet, das Seil zu kappen, um wenigstens sich und seinen Kameraden zu retten und den Auftrag ihres Königs weiter auszuführen.

Doch nicht die Steigerung ist hier das Entscheidende. Sondern die Umsetzung des Motivs in Handlung: Was Ygritte behauptet hat, wird nun bewiesen. Der Armee sind Ygrittes Leben und das von Jon Snow egal. Ihre Loyalität gehört der gemeinsamen Sache, nicht den einzelnen Menschen. Wem Jon Snows Loyalität gehört, zeigt sich bei der Rettung: Er kann im letzten Moment einen Haken ins Eis schlagen und bewahrt damit sich und Ygritte vor dem Tod.

Gerade im Vergleich mit der Einstellung, die König Joffrey mit der von Pfeilen gespickten Hure zeigt, wird eins deutlich: Während die Joffrey-Einstellung statisch ist, sie wirkt wie ein Standbild, ist die Szene an der Mauer eben das: eine Szene. Sie wirkt stärker, weil sie das Motiv oder Thema Loyalität eben nicht nur visualisiert, sondern in Handlung umsetzt.

Betrachten Sie Ihren Roman und die Motive oder Themen darin. Haben Sie die wichtigsten davon zumindest visualisiert? Oder reden Ihre Charaktere nur darüber wie hier im Beispiel Ygritte und Jon Snow über Loyalität? Können Sie darüber hinausgehen und das Thema oder das Motiv in einer Szene darstellen oder in einem Konflikt innerhalb einer Szene zeigen – und es damit beweisen?

Bedenken Sie: Der Leser glaubt nur, was er mit eigenen Augen sieht. Das gilt auch für die inneren Augen seiner Vorstellung.

Danke fürs Lesen. Und jetzt weiter im Text. In Ihrem.

Stephan Waldscheidt

(c) SW 2014

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??? Meine Frage an Sie: Wie kann man Motive oder Themen dem Leser noch intensiver vorstellen? Beispiele aus Literatur oder Film? Ich bin gespannt auf Ihre Antwort — bitte hier als Kommentar … Und: Das hier ist kein Abhören in der Schule, es gibt kein Richtig oder Falsch. Ich freue mich auch über Kommentare, die diese Fragen nicht beantworten 🙂

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