An welchen Stellen Ihre Einmischung als Autor auffällt, warum Sie hinter dem Text verschwinden sollten, und wie Sie das anstellen

Wem gehört der Roman, an dem Sie gerade arbeiten? Ganz klar: Ihnen.
Falsche Antwort.
Wenn Sie ein guter Erzähler werden wollen, sollten Sie diese Besitzansprüche aufgeben. Spätestens bei der Zusammenarbeit mit dem Verlag werden Sie feststellen, dass aus dem Roman plötzlich ein Projekt von vielen geworden ist. Ganz aus Ihrem Besitz gleitet das Buch, sobald es in die Hand von Lesern gerät.
Und das ist gut so.
Der Leser soll das Buch zu seinem Buch machen, die Geschichte zu seiner. Anders als Kinobesucher oder Hörsbuchhörer tut er auch genug dafür: Er liest. Und er gibt sich die Mühe, weil er sich die Geschichte nur beim Lesen aneignen kann. Je mehr Sinne bedient werden, desto passiver nehmen wir auf. Ergo: Je weniger Sinne, desto mehr müssen wir uns einbringen – und desto tiefer der Genuss.
Für Sie als Autor heißt das: Je weniger Sie sich in den Vordergrund drängen, desto leichter fällt es dem Leser, das Buch zu seinem Buch zu machen. Und umso größer wird die Chance, dass er auch das nächste Buch von Ihnen kauft.

Es gibt viele gute Bücher, in denen die Einmischung des Autors zum Konzept gehört, wo nach Herzenslust kommentiert wird. In den Romanen des vorletzten Jahrhunderts war das die Regel. Mir geht es hier um die moderne(re) Form des Romans: Der Autor verschwindet hinter seiner Geschichte. (Höre ich da jemanden wettern: »Eskapismus! Typisch Unterhaltungsroman. Was ist mit der Literatur?« Ich benutze bewusst nicht das Wort Unterhaltungsroman. Ein Roman, der nicht unterhält, mag Literatur sein, ein Roman ist er nicht. Punkt.)

Der Knackpunkt: Vielen Autoren ist nicht bewusst, dass sie sich einmischen und wo. Lesen Sie weiter.

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Wenn der Roman nicht dem Autor gehört, dann gehören ihm auch nicht die Dialoge. Sie gehören den Charakteren. Wann immer der Autor aber ein anderes Verb als »sagen« benutzt, um den Sprecher zu benennen, reißt er den Dialog an sich. »Oh, wie ich dich begehre«, säuselte sie zärtlich, »wie ich mich nach dir verzehre.« Der Autor kennt zwar seinen Endreim, aber er kommentiert das Gesagte, und zwar gleich zwei Mal: Dass sie säuselte, ist Kommentar Nummer eins, der Autor tritt einen Schritt vom Dialog zurück und wirft einen Blick darauf. Der Leser ist gezwungen, ihm zu folgen. Die Art, wie sie säuselte, ist Kommentar Nummer zwei. Adverbien sind fast immer Kommentare.

Es gibt Ausnahmen. Wenige bei den Verben und so gut wie keine bei den Adverbien.

Schreiben ist keine exakte Wissenschaft, manches (aber weniger, als die meisten glauben) ist Geschmackssache. Als Richtschnur ist es hilfreich, sich folgendes zu merken: Je weiter die Sprecherbenennung sich von dem einfachen Verb sagen entfernt, desto mehr Aufmerksamkeit zieht sie auf sich und desto wahrscheinlicher gehört sie gestrichen. Das Wort »sagen« ist so gut wie unsichtbar. »Flüstern« oder »schreien« ist in den Fällen in Ordnung, in denen es nicht schon der Kontext offenbart. Gleiches gilt etwa für »fragen« und »erwidern«. Schlimmer sind Verben wie »radebrechen« oder »poltern«. Auf jeden Fall einen Bogen machen sollten Sie um die Verben, die gar nichts mehr mit sagen zu tun haben und nicht selten physikalische Unmöglichkeiten beschreiben: »Ich komme wieder«, drohte er. Oder »Du hast Recht«, nickte sie. Nur, weil sich die Leser an so etwas gewöhnt haben, heißt es noch nicht, dass dies gut oder richtig ist. Wann haben Sie das letzte Mal einen Satz genickt?
In den meisten Fällen das Verb »sagen« zu benutzen, hat einen weiteren Vorteil: Sie erkennen besser, ob es im Dialog selbst hakt. Viele gehen jedoch den einfacheren Weg. Sie klatschen ein »sagte sie zärtlich« an das Gesagte, anstatt sich mit dem Gesagten selbst zu beschäftigen und es so umzuschreiben, dass der Tonfall deutlich wird. Mit Bequemlichkeit aber erschaffen Sie keinen guten Roman.

Auch in innere Monologe sollten Sie als Autorin oder Autor sich nicht einmischen. Wenn Ihr POV-Charakter nachdenkt, dann schreiben Sie nicht: »So spät, dachte er, und sie ist immer noch nicht da.« Sondern einfach: »So spät, und sie ist immer noch nicht da.« Da Sie ja die ganze Geschichte oder Szene aus diesem POV erzählen, ist klar, dass dies die Gedanken Ihres POV-Charakters sind. Je tiefer Sie mit Ihrer Erzählperspektive in der Figur stecken, desto eher kommen Sie ohne solche Krücken aus. Gedanken kursiv zu setzen, ist aus dem gleichen Grund störend, ja, albern. Die Lesbarkeit erschwert es schon bei Passagen, die länger als eine Zeile sind.

Überhaupt sollten Sie bei Lesbarkeit und Verständlichkeit die Grenze ziehen. Schreiben Sie so, dass dem Leser sofort klar ist, wo die Gedanken aufhören und Handlung anfängt. Gerade in der so genannten Literatur finden sich Manierismen, die es dem Leser (unnötig) schwer machen.
So schreibt Katharina Hacker in Die Habenichtse:
– Wer bist du, dass du dich über andere erhebst? Ausgerechnet Albert sagte es. Mae war fünfundzwanzig geworden, Jim hatte ihren Geburtstag vergessen.
Es dauert einige Wörter, bevor man begreift, dass nach »erhebst?« der Dialog zu Ende ist und Handlung beginnt. Doch dies genügt schon, den Leser zu irritieren.

An welchen Stellen Sie sich noch aus dem Roman Ihrer Leser heraushalten sollten und warum, darüber morgen mehr.

(c) Stephan Waldscheidt 2011

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??? Meine Frage an Sie: Finden Sie, der Autor sollte sichtbar sein? Und wie halten Sie es mit dem „sagte sie“? Ich bin gespannt auf Ihre Antwort — bitte hier als Kommentar …
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