Meine Blog-Leserin Isabella wollte wissen, was zum Kuckuck eine Normseite ist und ob sich alle Verlage daran halten.

Die Normseite ist eine alte Maßeinheit, die noch aus der Ära der Schreibmaschine stammt. Sie bezeichnet: eine Seite Text, die so formatiert ist, dass in jeder Zeile (maximal) 60 Zeichen einschließlich Leerzeichen stehen und auf jeder Seite (maximal) 30 Zeilen. Dabei wird nicht getrennt. Für gewöhnlich wird ein 12-Punkt-Font gewählt und ein Zeilenabstand von 1,5.

Die Normseite baut dabei auf nicht proportionalen Schrifttypen auf, etwa Courier. Nicht proportional heißt, dass jeder Buchstabe dieselbe Breite beansprucht, das M nicht mehr als das i. (Vermutlich haben Sie eine Proportionalschrift in Ihrem Browser (vor)eingestellt, sodass Sie diesen Text anders sehen: Die Buchstaben nehmen nicht dieselbe Breite ein, dafür sind die Abstände zwischen den Buchstaben gleich. Dies sorgt für eine bessere Lesbarkeit.)

Die Normseite dient(e) der, wie der Name schon sagt, Normierung von Texten. Sie gibt dem Lektor einen schnellen Überblick darüber, wie dick Ihr Roman nun tatsächlich ist – und eine schnelle Vergleichsmöglichkeit mit anderen Texten. Zwar bieten alle modernen Textverarbeitungsprogramme eine automatische Zählung der Zeichen an, dennoch bevorzugen viele Lektoren oder Agenten nach wie vor die Normseite. Ein Grund mag die Macht die Gewohnheit sein, ein anderer die eben erwähnte schnelle Vergleichbarkeit.
Wichtig für Lektoren ist aber auch, dass sie bei einer Normseite das ausgedruckte Manuskript – oder genauer gesagt: das Typoskript – besser bearbeiten können. Die großzügigen Ränder und Zeilenabstände bieten ihnen viel Platz für Anmerkungen und Korrekturen. Eine Rolle für die Beliebtheit der Normseite mag auch spielen, dass man sofort sehen kann, wie viel man schon be- und gearbeitet hat. Und: Schreibfehler lassen sich besser erkennen.

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Andere Berufsgruppen, wie Übersetzer, werden anhand einer Normseite bezahlt. Dass viele Verlage die Normseite mit 1.800 Anschlägen pro Seite gleichsetzen, kann einen Übersetzer um sehr viel Geld bringen, da auf den meisten Normseiten, etwa durch Dialoge, Absätze und andere Einrückungen, tatsächlich weit weniger als 1.800 Zeichen einschließlich Leerzeichen stehen.

Technisch notwendig ist die Normseite nicht mehr. Die Zeichen werden automatisch gezählt, Überarbeitungen können, etwa bei Word, auf dem Bildschirm erfolgen („Extras/Änderungen verfolgen“).

Was aber wollen die Verlage? Random House schreibt auf seiner Website: „Senden Sie ein Exposé, eine Inhaltsangabe oder ein repräsentatives Kapitel Ihrer Arbeit in Papierform an folgende Adresse …“ Von Normseite steht da nichts. Bei Piper auch nicht. Und auch bei anderen Verlagen nicht. Was tun?

Bleiben Sie erst einmal ruhig. Viele Autoren fallen bei dem Wort Normseite sofort in Schockstarre. Man könnte meinen, die Normseite sei so etwas wie das Bermuda-Dreieck der Buchbranche, ein Mysterium, ungelöst, furchteinflößend. Mein Verdacht ist, dass viele Autoren sich lieber mit unwichtigem Kram ablenken, statt sich um ihren Text zu kümmern. Und manche wollen anscheinend auch alles vorgekaut haben, statt selber zu denken.

Dann: Beachten Sie die Hinweise der Verlage, was die Formalien betrifft. Wenn ein Verlag explizit sagt, er will Ihr Manuskript auf dem Postweg, dann schicken Sie es nicht per E-Mail. Wenn er ein repräsentatives Kapitel möchte, dann schicken Sie nicht das ganze Manuskript. Wenn der Verlag etwas nicht explizit erwähnt, dann benutzen Sie Ihren gesunden Menschenverstand. Den, entgegen anders lautender Behauptungen, auch die meisten Autorinnen und Autoren besitzen.

Formatieren Sie Ihr Exposé und Ihr Probekapitel so, dass man es gut lesen kann. Benutzen Sie eine ausreichend große Schrift. Benutzen Sie eine gut lesbare und gewöhnliche Schrift, nichts Exotisches wie Ringadingadingbats. Courier New, die nicht proportionale Schrift der klassischen Normseite, ist nicht sehr gut lesbar. Ich bevorzuge eine Schrift mit Serifen (das sind diese kleinen Füßchen an den Buchstaben), also etwa Times New Roman. Das serifenlose Arial ist mir zu unfreundlich, leblos und kalt. Und: Schriften mit Serifen lassen sich besser lesen. Lassen Sie auf jeder Seite ausreichend Ränder und setzen Sie die Zeilen nicht zu dicht aufeinander.
Wenn Sie keine Normseiten verschicken, sollten Sie unbedingt die Anzahl der Zeichen in Ihrem Manuskript angeben, die Anzahl der Wörter schadet auch nicht. Einen Anhaltspunkt, wie umfangreich Ihr Manuskript ist, müssen Sie dem Verlag geben, ob über Normseiten oder über Zeichen oder Wörter.
Wenn Sie Normseiten verschicken wollen, auch gut.

Und jetzt denken Sie in Ihrem Leben als Autor nur noch dann an Normseiten, wenn es unbedingt sein muss. Konzentrieren Sie sich auf den Inhalt Ihres Romans. Romane werden von den Verlagen nie wegen einer falsch formatierten Normseite abgelehnt („Igitt, die Seite hat 31 Zeilen, in den Papierkorb damit!“), sondern wegen eines Inhalts, der missfällt oder nicht ins Programm des Verlags passt.

In den Verlagen, ob Sie es glauben oder nicht, arbeiten Menschen. Die meisten von ihnen sind sogar recht freundliche Gesellinnen und Gesellen. Wenn Ihre Lektorin Ihr Manuskript gerne in Normseiten hätte, wird Sie Ihnen das sagen. Dann formatieren Sie es wie gewünscht – und fertig. Und dann, statt Ihre Zeit mit und Ihre Gedanken an Formatierungen zu verschwenden, arbeiten Sie an Ihrem Text, zum Kuckuck nochmal!

Links:
http://de.wikipedia.org/wiki/Normseite
http://www.literaturuebersetzer.de/pages/wissenswertes-archiv/normseite.htm
http://papyrus.de (Das Programm Papyrus Autor wandelt Seiten mit einem Mausklick in Normseiten um.)

(c) Stephan Waldscheidt 2011

 

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??? Meine Frage an Sie: Welche Erfahrungen haben Sie mit Vorgaben von Verlagen gemacht? Ich bin gespannt auf Ihre Antwort — bitte hier als Kommentar …
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