Bei meiner Zusammenarbeit mit Autoren gibt es eine Sorte Manuskripte oder Plots, die mir die größte Sorge bereiten. Das Problem taucht so häufig auf, dass es für viele Autoren ein ernstes Thema zu sein scheint: Ihre Charaktere, insbesondere ihre Protagonisten, gehen jeden Konflikt aus dem Weg. Und der Autor und die Autorin (es sind häufiger Autorinnen, sorry für dieses geschlechtsstereotype Ergebnis) tun das Gleiche.

Selbst wenn sie eine Szene schreiben, in der sich ein Konflikt anbahnt, gehen sie ihm gerade noch rechtzeitig aus dem Weg. Sie entschärfen die Situation, anstatt sie zu verschärfen, lassen ihre Charaktere einlenken, bevor es zum Ausbruch des Konflikts kommt, finden glückliche Zufälle oder unwichtige Nebenfiguren, die die Protagonistin aus der Situation herausbugsieren, bevor es für sie konfliktreich oder gar gefährlich wird.

Ein solcher Roman ist zum Scheitern verurteilt. Da gibt es nicht schönzureden oder abzuschwächen. Konfliktscheu gehört zu den wenigen Dingen, die einen Roman mit Sicherheit vernichten. Ohne Konflikt keine Spannung, ohne Spannung keine Leser. Von den vielen anderen Dingen, die als Folge nicht funktionieren können, gar nicht zu reden.

Ich bin der festen Ansicht, dass jeder die handwerklichen Grundlagen des Romaneschreibens lernen kann. Sonst würde ich keine Schreibratgeber veröffentlichen. Aber was ist mit Autoren, die sich in ihren Romanen als konfliktscheu erweisen? Ich fürchte, das deutet auf eine Haltung in der Persönlichkeit des Autors hin. Sprich: Um einen funktionierenden Roman zu schreiben, müssten solche Autoren nicht nur das Handwerk meistern — sondern auch sich selbst ändern.

Oder sind Sie anderer Ansicht? Hat Konfliktscheu beim Schreiben nichts mit Konfliktscheu im Leben zu tun? Kann man als Mensch allen Konflikten aus dem Weg gehen — und beim Schreiben genau das Gegenteil schaffen, nämlich Konflikte zu suchen, zu entdecken, zu verschärfen?

Was denken Sie? Haben Sie dazu eigene Erfahrungen gemacht?