** Heute nur Aufgewärmtes, sorry ** Zwei Schreibtipps, die meine Facebook-Leser schon kennen, beide inspiriert von „Der Distelfink“ von Donna Tartt **

1. ‎Schreibtipp‬: So treten Sie aus der Geschichte heraus – ohne den Leser herauszureißen

Der wunderbare Roman »The Goldfinch« von Donna Tartt wird aus der Sicht des heranwachsenden Theo Decker erzählt. In einer Szene simst Protagonist und Ich-Erzähler Theo mit seinem Freund Boris. Die komplette Szene sind wir als Leser in der Erzählgegenwart der Szene und damit maximal nahe beim Ich-Erzähler. Am Ende allerdings tritt Theo aus der Erzählgegenwart heraus:

»Ruf sptr an«, simste ich zurück. Aber es kam keine Antwort – und es würde eine lange, lange Zeit vergehen, bis ich noch einmal etwas von Boris hören würde.

Mit diesem Kniff erzeugt die Autorin Erwartung in ihren Lesern. Sowohl angenehme – die beiden sehen sich wahrscheinlich wieder, zumindest hört Theo ja von Boris – als auch unangenehme – es dauert sehr, sehr lange, bis die Freunde sich wiedersehen.
Rechtfertigt dieser Kniff jedoch, dass die Autorin ihren Erzähler die Erzählgegenwart verlassen lässt? Oder muss die Erzählgegenwart um jeden Preis gewahrt werden, weil der Leser sonst aus der Szene gerissen wird?

Das Ende von Szenen oder Kapiteln ist der ideale Standort für solche Vorausgriffe. Oder auch für Rückblenden. Als Autor machen Sie sich hier zunutze, dass Sie den Leser ja durch das Szenen-Ende sowieso aus der Szene reißen werden. Im »Goldfinch« (was kein Gold-, sondern ein Distelfink oder Stieglitz ist) folgen nach obigem Satz (eigene Übersetzung) ein neues Kapitel, das mit »iii« überschrieben ist, und ein mehrzeiliger Leerraum. Das heißt, dass der Leser bereits optisch zur Tatsache zurückgestoßen wird, dass er »nur« ein Buch liest und nicht live beim Geschehen dabei ist. Der Vorausgriff kann also keinen Schaden anrichten, aber dafür, wie ich erläutert habe, sehr nützlich sein.

Wenn Sie Vorausgriffe oder Rückblenden einbauen, suchen Sie sich nach Möglichkeit Stellen dafür, an denen Sie den Leser möglichst wenig in seinem Lesefluss stören. Stellen, an denen er sowieso »gestört« wird, wie hier durch das Ende einer Szene und optische Marker, fällt eine weitere »Störung« nicht ins Gewicht.


2. ‎Schreibtipp‬: Falle Zeit

Erfahrene Autoren kennen das Problem: Da stopft man Handlungs- um Handlungssequenz in seine Geschichte und stellt irgendwann fest, dass der Held einen verdammt langen Tag hatte. Vierzig Stunden oder so.
Dieses Problem entgeht einem bei der Überarbeitung ziemlich leicht. Leider entgeht es auch dem Lektorat. Wie das Beispiel des internationalen Bestsellers »Der Distelfink« von Donna Tartt zeigt.

Protagonist Theo ist in New York unterwegs. (Zeitangabe: Nachmittags, dann Rush Hour) Er läuft ziellos und sehr lange durch die Stadt, will erst ins Kino, läuft zu verschiedenen Kinos, will sich dann Drogen besorgen, auch da läuft er und läuft und geht in verschiedene Bars, um eine Bekannte seines Dealers zu finden, dann trifft er seinen alten Freund Boris (der aus einem der letzten Schreibtipps unten) und unterhält sich mit ihm, sie verabreden sich für später, weil Boris noch was zu erledigen hat, Theo wartet in einer Bar »mehr als drei Stunden«, dann kommt Boris, sie reden und reden und reden, anschließend bringt Boris Theo nach Hause, wo es, erstaunlicherweise, noch nicht ganz Zeit für Abendessen ist. Und die Amerikaner essen sehr früh zu Abend.
Theos Nachmittag zwischen Rush Hour um fünf und Dinner um sechs oder sieben muss mindestens sechs, sieben Stunden haben. In all dem Wust aus Ereignissen und Details aber geht der Sinn für Zeit einem Autor leicht mal verloren.

Ein solcher Zeitfehler kann einen Leser, so er den Fehler bemerkt, gewaltig aus Ihrer Geschichte reißen. Verlassen Sie sich hier nicht auf Testleser oder Lektoren. Bleiben Sie wachsam und legen Sie sicherheitshalber einen Stundenplan an.



Danke fürs Lesen. Und jetzt weiter im Text. In Ihrem.

Stephan Waldscheidt

(c) SW 2015

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