Druck auf Romanfiguren -- So schreiben Sie heute Romane
Hoher Druck auf Romanfiguren zerbricht die Schale und fördert den Kern der Persönlichkeit zutage

So gelangen Sie mit hohem Druck zur Quintessenz Ihrer Romanfiguren

Ich kenne Ihren Roman. Da staunen Sie. Ich weiß zum Beispiel, dass Sie Ihren Protagonisten nicht genug unter Druck setzen. Dass Sie die erste, vielleicht die zweite Idee genommen haben, die Ihnen in den Sinn gekommen ist, als Sie Ihre letzte Szene schrieben. Sie gefiel Ihnen, diese Idee, und sie ist ja auch ganz nett.

Abstecher: Das Klassensystem beim Schreiben und Veröffentlichen

Aber wenn Sie in der Bundesliga mitspielen wollen, reicht nett nun mal nicht. Und beim publizierten Schreiben, dem Schreiben, dessen Ergebnis in Buchhandlungen liegt, gibt es nun mal nur eine Liga – Publizieren ist kein Fußball, wo man in der A-Klasse anfängt und sich irgendwann vielleicht in die Regionalliga hocharbeitet. Aber das Schreiben kann man schon mit dem Klassensystem im Fußball vergleichen. Wir alle fangen unten an. Die meisten von uns werden ihr Leben in einer der unteren Klassen, der Amateurklassen, verbringen. Und das ist keine Schande. Fragen Sie die Fußballspieler, die in Ihrer Gemeinde kicken. Von denen träumt kaum einer von der Bundesliga. Sie haben Spaß, selbst auf ihrem Ascheplatz und bei miesem Wetter.
Und darum geht es. Wenn Sie in erster Linie auf Veröffentlichung, auf Anerkennung, auf finanziellen Erfolg schielen, werden Sie als Autor nicht glücklich. Schreiben ist wie leben: Ziele sind im Leben wie im Schreiben wichtig, aber es kommt vor allem darauf an, die begrenzte Zeit, die wir haben, die wir mit der Erreichung dieser Ziele verbringen, zu genießen.
Der schöne Nebeneffekt: Je mehr Spaß Sie beim Schreiben haben, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Freude, dieser Genuss auch auf Ihre Leser überträgt – und der Erfolg kommt überraschend durch den Hintereingang.

Wo war ich?

Abstecher: Der Nutzen von Nebengleisen

Moment, mir fällt zu diesem ungeplanten Abstecher noch ein Schreibtipp ein: Wenn Sie während des Schreibens auf ein Nebengleis gelangen wie ich eben, dann folgen Sie ihm ruhig ein Stück und sehen sich die Landschaft an. Falls die nicht zu Ihren Reiseplänen passt, macht nichts, der Abstecher war es für sich allein schon wert. Zugleich bietet sich Ihnen die Chance, Dinge zu entdecken, auf die Sie beim Planen und Plotten nie gekommen wären.
Heißt das, Planen und Plotten ist schlecht? Keineswegs. Viele Autoren begehen jedoch den Fehler, den Abstecher nicht als solchen zu erkennen oder ihn auch dann weiterzuverfolgen, wenn jedem Leser längst klar wäre, dass er in die Wüste und auf ein totes Gleis führt.
Verbeißen Sie sich nicht in solche ungeplanten Ideen. Freuen Sie sich darüber, aber seien Sie bereit, sich ebenso schnell von ihnen zu trennen, wie sie Ihnen eingefallen sind. Und vergessen Sie nicht, alles Schöne und Besondere am Wegesrand einzusammeln und, für spätere Verwendung auf ihrem Weg auf dem Hauptgleis, in ihrer Ideenkiste oder ihrem Hinterkopf zu verstauen.

Druck auf den Protagonisten: Die Erzählzange

Wo war ich, verdammt? Ah, richtig: Sie setzen Ihren Protagonisten nicht genug unter Druck. Anders Richard Price an einer Stelle seines Krimis »Lush Life« (dt. »Cash«), wo er diesen Druck auf raffinierte Weise ausübt.
Ermittler Matt wird von seinem Vorgesetzten unter Druck gesetzt: Er will eine Verhaftung von Matt, um jeden Preis. Matt aber hat einen Zeugen unter Verdacht. Doch dieser Zeuge baut wiederum selbst Druck auf Matt auf.
Die Quintessenz daraus, ohne weiter ins Detail des Romans zu gehen: Matt kämpft nicht an einer Front, was hart genug wäre. Sondern an zweien. Er wird von den Ereignissen in die Zange genommen – oder vom Autor in eine Art Erzählzange. Je mehr Matt dem Druck auf der einen Seite nachgibt, desto stärker wird der Druck von der anderen Seite.
Stellen Sie sich den Plot wie eine dieser gewaltigen Schrottpressen vor, die Sie von Autoschrottplätzen kennen. Legen Sie Ihren Protagonisten in eine solche Presse. Und dann drücken Sie los. Von einer Seite, von zwei, von drei …

Hoher Druck auf Romanfiguren: Eine besondere Form von Konflikt

Druck ist eine besondere Form von Konflikt. Was ist das erzähltechnisch so wertvolle an hohem Druck auf Ihren Protagonisten? Fangen Sie bei sich selbst an: Wie reagieren Sie auf Druck? Druck in der Partnerschaft, in der Beziehung zu Freunden, Druck auf der Arbeit, im Sport, selbstgewählten Druck und fremdbestimmten Druck, Zeitdruck, Notendruck, der Druck hoher Anforderungen …

Druck setzt Menschen nicht nur unter Stress, echter Druck beansprucht nicht nur, er belastet.

Ausgangspunkt für Ideenfindung: Wie Ihre Charaktere auf hohen Druck reagieren

Menschen unter Druck reagieren häufig …

  • … anders als in entspannten Situationen;
  • … emotionaler;
  • … unkontrollierter;
  • … extremer;
  • … unlogischer;
  • … unberechenbarer (für sich selbst und für andere);
  • … untypisch;
  • … der Situation gegenüber unangemessen;
  • … schlicht falsch.
  • Diese Liste ist nicht vollständig. Sie gibt jedoch einen Eindruck, wie vielfältig ein hoher Druck auf Charaktere die Situation in Ihrem Roman verschärfen kann. Welche Reaktionen fallen Ihnen noch ein?

    Hoher Druck auf Charaktere macht Beziehungen spannender

    Eine solche Liste bildet einen interessanten Ausgangspunkt, um Szenen zu brainstormen. Gehen Sie noch einen Schritt weiter und betrachten Sie sich nicht mehr nur einen Charakter, sondern eine Beziehung zu einem oder mehreren anderen Ihrer Romanfiguren.
    Nehmen wir als Beispiel dafür eine Szene aus dem aktuell in den Kinos laufenden Film »Unbroken«, ein Überlebensdrama, das auf einer wahren Geschichte beruht. Protagonist Louis Zamperini schaffte es vom Kleinganoven zum Olympioniken auf der Mittelstrecke. Im Zweiten Weltkrieg wird er mit seinem Bomber über dem Pazifik abgeschossen. Er überlebt in einem Schlauchboot zusammen mit zwei Kameraden – siebenundvierzig Tage lang ohne Trinkwasser und nur mit der Nahrung, die sich die Männer aus dem Meer fischen können. Doch das ist erst der Anfang seiner Leidensgeschichte …
    Was uns hier interessieren soll, ist die Situation in dem winzigen Rettungsboot. Drei junge Männer, und auf allen lastet ein maximal möglicher Druck: Es geht schließlich um ihr Leben.

    Wenn Sie diese Szene schreiben würden, könnten Sie obige Liste oder eine von Ihnen selbst erstellte oder erweiterte nehmen und die Reaktionen der Männer kombinieren. Sagen wir, einer reagiert unkontrolliert, vielleicht verliert er den Verstand. Ein anderer reagiert unlogisch, weil sein Denken in der Situation nicht mehr richtig funktioniert und begeht dadurch einen fatalen Fehler. Der Dritte reagiert untypisch. War er bislang ein stiller und zurückhaltender Mensch, wächst er nun in dieser Lage über sich hinaus: Er redet pausenlos, um die anderen beiden bei Laune zu halten, und ihm fallen kreative Mittel ein, wie man allein auf dem Meer länger überleben kann.
    Spannend wird es, wenn die Reaktionen in Konflikt zueinander treten. Wenn etwa einer der Überlebenden still und in sich zurückgezogen wird, während der andere lacht und Witze reißt – und der Stille irgendwann dem Lauten das Maul stopfen will. Oder wenn einer die Lage analytisch betrachten will, ein anderer aber ihm mit seinem Gefühlschaos am Denken hindert. Die Möglichkeiten sind endlos.

    Hoher Druck auf Romanfiguren: Die Essenz aus den Charakteren pressen

    Die unterschiedlichen Weisen, wie Ihre Romanfiguren mit hohem Druck umgehen, können Sie auch schlicht zum Vergleich zweier Charaktere heranziehen, beispielsweise zur Gegenüberstellung von Held und Schurke. Auf diese Weise zeigen Sie dem Leser die verschiedenen Charaktere, ihre Persönlichkeiten, besonders eindringlich.

    Wenn Sie Ihre Charaktere hohem Druck aussetzen, erfahren die Leser und zunächst auch Sie als Autor eine Menge über die Charaktere – und manches davon wird Sie, jede Wette, sehr überraschen.

    Probieren Sie es aus. Schrottpresse, Daumenschrauben der Inquisition, Anpassungsdruck beim Militär – mit hohem Druck quetschen Sie den interessantesten Stoff, die Essenz, aus Ihren Charakteren. Das Ganze gären und ein wenig altern lassen, und Sie servieren Ihren Lesern garantiert nur die besten Tropfen.

    Danke fürs Lesen. Und jetzt weiter im Text. In Ihrem.

    Stephan Waldscheidt

    (c) SW 2015

    PS: Danke für den Kauf meiner Schreibratgeber, Ihre Weiterempfehlungen und Ihre Unterstützung in vielen tollen Leserzuschriften 🙂


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