Warum Sie Ihren Helden zum Ort des größten Schmerzes zurückschicken sollten (Charakterbogen)

Eine schöne Möglichkeit, im zweiten Akt die Konfliktschraube anzuziehen, zeigt Ihnen Elizabeth George in ihrem Roman »This Body of Death« (»Wer dem Tode geweiht«, Blanvalet 2010 / eigene Übersetzung aus Hodder Paperpack 2011).

Als er sich einverstanden erklärte, für diese Ermittlung ein Teil von Isabelle Ardery‘s Mordkommission zu werden, war der letzte Ort, an dem Lynley geglaubt hatte, erscheinen zu müssen, das Krankenhaus von St. Thomas – die Notaufnahme, dieselben Zimmer und Flure, wo er die Entscheidung getroffen hatte, Helen und ihr gemeinsames Kind loszulassen. Aber genau das war, wo der Rettungswagen Yukio Matsumoto hinbrachte, und als Lynley durch die Türen in die gedämpfte Hektik der Notaufnahme trat, war es, als wäre keine Zeit vergangen zwischen diesem Augenblick und den Nachwehen dessen, was mit seiner Frau passiert war. (S. 361)

Ja, Elizabeth George schreibt so lange Sätze und meine Übersetzung holpert. Aber sehen wir uns mal an, worüber sie schreibt: Sie schickt ihren Helden an den Ort, wo er die schlimmsten Stunden seines Lebens verbrachte und wo er die schwierigste Entscheidung seines Lebens hatte treffen müssen.

Der Ort ist eine Einladung für Konflikte. Er zwingt zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Er wirft Fragen auf: Wird Lynley an diesem Ort anders reagieren als an einem neutralen Schauplatz? Wird er Fehler machen, die er woanders nicht begangen hätte? Wird er wegen der wieder hochkommenden Trauer eine falsche Entscheidung treffen, die er später bereut? Vor allem: Wird Lynley Seiten von sich offenbaren, die der Leser (oder ein anderer Charakter) noch nicht kennt?

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Wenn sich in der Backstory Ihrer Heldin oder in einem zurückliegenden Teil der »Frontstory« etwas ereignet hat, was die Heldin noch immer beschäftigt, fragen Sie sich, ob diese Erinnerung auch an einen Ort gebunden ist. Und dann fragen Sie sich, ob Sie Ihre Heldin nicht an diesen mit Gefühlen und Schmerz aufgeladenen Ort zurückschicken können.

Der Ort mag sich verändert haben und dadurch auch eine Änderung in der Heldin zeigen. Oder der Ort ist genau derselbe und führt ihr damit quälend vor Augen, dass nichts von den schrecklichen Ereignissen vergessen ist.

Schicken Sie Ihre Heldin an einen solchen Ort, um eine Dramatik noch zu steigern. So könnte die Polizistin, die Jahre zuvor in der aufgelassenen Schlachthaushalle aus Versehen einen Kollegen erschoss, den Mörder in einem neuen Fall wieder in dieser Halle jagen. Und bei der Heldin ist ein neuer Kollege, der sie nicht nur an den anderen Kollegen erinnert, sondern in den sie auch noch verliebt ist. Der Schauplatz verwandelt sich in mehr: Er wird zur manifestierten Vergangenheit. Und die Mörderjagd wird noch ein gutes Stück schwieriger und für den Leser aufregender.

Oder Sie finden, dass Ihr Roman gerade ein wenig durchhängt. Doch statt Ihren Helden in der nächsten Szene wie vorgesehen ins Büro seiner Ex-Frau zu schicken, wo sie miteinander streiten sollen, lassen Sie die beiden auf der Brücke zusammentreffen, wo die gemeinsame Tochter zehn Jahre zuvor Selbstmord begangen hat. Der Streit wird anders ausfallen, garantiert. Und eine Tiefe bekommen, die er im Büro niemals erreicht hätte.

SW

(c) Stephan Waldscheidt 2011

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??? Meine Frage an Sie: Was fördert die Rückkehr an einen mit Emotionen aufgeladenen Ort noch zutage? Fallen Ihnen Beispiele ein? Ich bin gespannt auf Ihre Antwort — bitte hier als Kommentar …