Die Wandlung des Protagonisten zeigen. Romane schreibt man heute so: Schriftzeit
Wandlung: Auf der anderen Seite wartet ein neuer Protagonist.

Bestsellertricks von Luca di Fulvio und seinem Roman »Der Junge, der Träume schenkte« (Bastei-Lübbe 2011) hatten wir uns in den letzten Wochen einige angesehen (Wie Sie Emotionen bunt machen und tief — und Ihren Roman das Potenzial zum Bestseller verpassen sowie Zwei besondere Bestsellertricks aus »Der Junge, der Träume schenkte« von Luca di Fulvio). Heute zum Abschluss gehen wir ein letztes Mal in das Buch und in ein Thema, das ebenso wichtig wie schwierig darzustellen ist.

Wie zeigen Sie, dass Ihr Protagonist oder Ihre Heldin sich innerlich gewandelt haben?

Charakterbogen und Veränderungen des Protagonisten

Wenn in Ihrem Roman die Entwicklung Ihres Protagonisten eine wichtige Rolle spielt, bedeutet das fast immer, eine Veränderung dieses Charakters zu zeigen. Nach dem klassischen Story-Aufbau in drei Akten [Was immer so, im wahrsten Wortsinne, dramatisch erscheint: Akte! Wenn Ihnen das lieber ist, nennen Sie die drei Akte doch einfach »Anfang«, »Mitte«, »Schluss« – und schon klingt das Geschichtenerzählen so simpel, wie es ist. Na ja, zumindest, was die Grobstruktur betrifft.] muss der Protagonist am Ende des zweiten Akts eine Wandlung durchmachen. Denn nur durch diese Wandlung kann er sein Ziel erreichen. Im zweiten Plotpoint hat er ein letztes Mal versucht, als sein altes Selbst zum Ziel zu kommen – und ist gescheitert.
Aber er hat eben den zweiten Akt nicht nur damit verbracht, gegen Hindernisse anzurennen. Sondern er hat auch Wissen und Gefühle gesammelt, die ihn nun in die Lage versetzen, sich zu wandeln.
Sprich: Im zweiten Akt geht es nicht nur um eine Eskalation. Diese betrifft in erster Linie die Handlung, den Plot. Im zweiten Akt wächst auch der Charakter, selbst wenn ihn dieses Wissen, in seinem Inneren, noch nicht entscheidend weiterbringt.
Aber ohne den zweiten Akt durchlebt und durchlitten zu haben, wäre der Protagonist nicht fähig zu dieser notwendigen Wandlung. Denken Sie beim zweiten Akt auch daran, eben nicht nur die Handlung voranzubringen, sondern auch, den Charakter mit allem für seine Veränderung Notwendigem auszustatten.

Ihre Heldin darf sich während des Romans gerne häufiger verändern. Gerade bei Romanen, die über längere Zeiträume spielen, ist das fast unvermeidlich, sollen Ihre Leser sich mit der Figur nicht langweilen oder ihr ihre Taten nicht mehr abnehmen.
Aber dem Leser einfach zu erzählen, »So, Leute, Ruth hat sich jetzt innerlich total verändert, müsst ihr wissen, also, sie ist jetzt mutiger und hat mit ihrem alten Leben abgeschlossen«, so etwas ist erstens wenig elegant und zweitens, und das ist entscheidend, es wirkt auf den Leser nur behauptet. Leser wollen Beweise, sie wollen mit ihren eigenen Augen sehen, sie wollen erleben, dass eine Veränderung stattfindet.

Nehmen Sie diesen Aspekt nicht auf die leichte Schulter. Den Leser von der Veränderung zu überzeugen, ist entscheidend, damit Ihnen der dritte Akt mit dem Höhepunkt gelingt – und damit Ihnen der Leser diesen Höhepunkt und das Ende Ihres Romans abkauft (und Ihr nächstes Buch).
Schließlich braucht es eine »neue« Heldin, um den Bösewicht zu schlagen und das Ziel zu erreichen. Wenn diese für den Leser aber weiterhin die »alte« Heldin ist, wird er Ihnen diese finale Schlacht am Ende schlicht nicht glauben. Für ihn hat sich die Heldin nämlich nicht verändert, für ihn ist die Heldin noch immer nicht in der Lage, diese finale Großtat zu begehen. Die Auflösung erscheint ihm damit wie eine aus dem Hut gezauberte Gazelle (ja, man muss nicht immer Kaninchen aus dem Hut zaubern).
Ergebnis: Der ganze Roman endet für ihn auf einer falschen Note – und ist damit für ihn verdorben. Ob er einen zweiten Roman von Ihnen lesen wird, nach dieser Enttäuschung, ist mehr als fraglich.

Wie ein Bestsellerautor die Wandlung der Protagonistin zeigt

Luca di Fulvio zeigt eine Veränderung seiner weiblichen Hauptfigur Ruth – und er tut das auf mehrfache Weise. Sie können alle Varianten auch in Ihrem Roman wählen oder sich die herauspicken, die Ihnen als am besten geeignet erscheinen. Mein Tipp: Je deutlicher und konkreter, desto besser.

Der Hintergrund: Ruth hat sich endlich aus ihrem übermächtigen Elternhaus befreit und ist bei ihrem neuen Arbeitgeber, dem Fotografen Mister Bailey eingezogen. Sie legt sich ins Bett, das neue, fremde Leben vor sich wie ein Ozean. Sie redet mit sich selbst. Erst mit ihrer großen, verloren geglaubten Liebe Christmas. Dann mit dem Mann, der sie vergewaltigt und entstellt und ihr Leben ruiniert hat, mit Bill. Der ist auch dafür verantwortlich, dass sie Verbände trägt, die hier eine entscheidende Rolle spielen, um die Wandlung Ruths zu zeigen.

Die Wandlung des Protagonisten zeigen: Auszug aus Luca di Fulvio
(c) Bastei-Lübbe 2011. Auszug aus »Der Junge, der Träume schenkte« von Luca di Fulvio.

Die Wandlung des Protagonisten zeigen: Durch Erzählung

Und da, zum ersten Mal nach all der Zeit, empfand sie so etwas wie Zärtlichkeit für sich selbst. (…) Endlich konnte sie sich annehmen.

Ja, Sie können die Veränderung dem Leser einfach erzählen. Aber alleine ist es zu wenig, zu schwach. Sie überlassen es so nämlich ganz dem Leser, ob er Ihnen glaubt oder eben nicht. Ergänzen Sie diese Methode durch weitere, konkretere.

Die Wandlung des Protagonisten zeigen: Durch inneren und äußeren Monolog

Hier im Beispiel ist das nur ein Satz. Dieser zeigt noch Ruths altes ich. Das furchtsame Ich: Ich fürchte mich, denkt sie, ich fürchte mich vor allem.
Erst in Kombination mit der Erzählung wird die Veränderung für den Leser erkennbar.

Denkbar wäre es, den inneren Monolog auszuweiten, Ruth also noch eine Zeile nach der Veränderung zu geben. Ganz banal hier wäre etwa ein »Ich habe keine Angst mehr.«
Eleganter wird es sofort, wenn Sie den inneren Monolog mit einem äußeren Monolog ergänzen, Sie Ruth beispielsweise den Satz »Ich habe keine Angst mehr.« laut aussprechen lassen. Indem Sie den inneren Monolog in einen äußeren überführen, zeigen Sie die Veränderung: Das Neue ist lauter als Alte. Das Neue ist wahrnehmbar, das Neue wird in die Welt gerufen.

Statt in Monologen könnte Sie die Veränderung auch in einem Dialog zeigen. Was der Sache noch ein Stück eindringlicher, konkreter macht.

Die Wandlung des Protagonisten zeigen: Durch ein Symbol

Christmas hat Ruth einen Anhänger in Herzform geschenkt, ein Schmuckstück, das Ruth scheußlich findet. Trotzdem trägt sie ihn. Er ist ein Symbol für (da wären Sie nie draufgekommen, ich weiß) ihre Liebe. Auch an diesem Symbol zeigt Autor di Fulvio Ruths Veränderung, sehr subtil, aber doch erfahrbar: Vor ihrer Veränderung trug Ruth den Anhänger. Danach lässt sie ihn ihre Haut berühren.

Die Wandlung des Protagonisten zeigen: Durch eine Beschreibung

Di Fulvio beschreibt Ruths Wandlung unter anderem in diesem Satz: Tränen traten in ihre Augen, aber es waren keine Tränen der Verzweiflung, sondern der Erleichterung.

Stellen Sie dazu in Ihrem Roman zwei Zustände oder Ereignisse gegenüber. Je deutlicher Sie beides in Ihrer Beschreibung unterscheiden, kontrastieren, desto klarer kommt die Wandlung des Protagonisten beim Leser an.

Die Wandlung des Protagonisten zeigen: Durch eine Handlung

Die Veränderung angestoßen hat Ruth mit dem Weggang von daheim und dem Einzug in ihr eigenes Zimmer bei Mister Bailey, der zugleich der Einzug in ihr neues Leben ist.
Diese Tat aber ist hier nur eine Vorbereitung der eigentlichen Veränderung, die gleichzeitig subtiler als auch eindringlicher auf den Leser wirkt.
Die zentrale Handlung, die Ruths Veränderung zeigt, ist das Lösen des Verbandes, den sie seit ihrem schrecklichen Erlebnis mit Bill immer getragen hat. Di Fulvio macht das besonders greifbar: Der Verband hat Ruth »die Brust abgeschnürt«, was man ebenfalls auch symbolisch verstehen muss. Die Druckstellen, die bleiben, streichelt Ruth – ein Zeichen dafür, dass sie sich annimmt. Was eingangs nur erzählt wurde. Durch dieses Streicheln aber beweist der Autor erst, dass Ruth sich tatsächlich angenommen hat und dass es nicht bloß eine Behauptung ist.
Dass die Veränderung stattgefunden hat und wie sie sich auswirkt, erkennt der Leser im letzten Satz des Ausschnitts: Ruth kann ohne die beengenden Verbände wieder freier atmen. Ein neuer Abschnitt ihres Lebens hat begonnen. Für eine neue, veränderte Ruth.
Und der Leser war Zeuge dieser Veränderung. Er hat sie in verschiedenen Formen miterlebt und ist überzeugt: Ja, Ruth ist eine andere.

Danke fürs Lesen. Und jetzt weiter im Text. In Ihrem.

Stephan Waldscheidt

(c) SW 2014


??? Meine Frage an Sie: Wie sorgen Sie für Wandlungen in Ihrem Roman? Ich bin gespannt auf Ihre Antwort — bitte hier als Kommentar … Ich freue mich auch über Kommentare, die diese Fragen nicht beantworten 🙂



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