Das statische Adjektiv

Ein Probekapitel aus dem Stilbuch und Schreibratgeber „Adjektive — gut oder böse?“

Stephan Waldscheidt_Adjektive_Besser schreiben mit Beiwörtern

Erscheint Ihnen Ihre Geschichte ohne Adjektive zu blass, liegt das häufig nicht daran, dass Adjektive fehlen, sondern dass es Ihrem Text an Verben mangelt – sprich: an Handlung.

Adjektive sind Wörter des Wie, Sie beschreiben einen Ist-Zustand und sind statisch. Verben hingegen sind Wörter des Tuns, Sie beschreiben eine Handlung, etwas Aktives und sind dynamisch – wie der deutsche Begriff Zeitwort andeutet.
Für Sie als Romanautor, der vor allem in Handlungen denken sollte, sind Verben damit Adjektiven überlegen. Anders gesagt: Verben sind für Sie das wichtigere Werkzeug.

Adjektive verraten den Narziss im Autor. »Schaut her«, ruft er dem Leser mit jedem dieser Wörtchen zu, »wie wunderschön ich schreiben und beschreiben kann!« Und drängt sich vor seinen Text. Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass wir ihn von der hinteren Umschlagklappe seines Buchs selbstgefällig grinsen sehen.

Wer diese Form der Selbstdarstellung braucht, kennt jetzt ein Instrument mehr, sie umzusetzen. Wer lieber hinter seinem Text, hinter seiner Geschichte verschwinden möchte, der mag es mit David Michael Kaplan halten (deutschen Autoren vor allem durch seinen Ratgeber »Die Überarbeitung« bekannt): »Jedes Wort, das nicht für dich arbeitet, arbeitet gegen dich.« (Zweitausendeins, vergriffen). Oder, um es mit Wilhelm Busch zu sagen: »Das Gute, dieser Satz steht fest, ist stets das Böse, das man lässt.«

Der unsachgemäße Gebrauch von Adjektiven ist oft ein Zeichen der Unsicherheit des Autors. Der souveräne Autor vertraut sich, er vertraut seinen Lesern – vor allem aber vertraut er seinen Verben und seinen Substantiven (den echten und nicht den Substantivierungen): Haben wir nicht schon ein Substantiv, das mein Adjektiv beinhaltet?

Ein großer Teich mag treffender als See bezeichnet sein: »Man gebe den Hauptwörtern den Rachen frei und erlaube ihnen, nach Herzenslust Eigenschaftswörter zu verschlingen.« (W. E. Süskind, »Vom ABC zum Sprachkunstwerk«, DVA 1940).

Der unsichere Autor verlässt sich auf Pleonasmen und schaltet seine Adjektive gerne in Serie. Und gebiert kleine, weiße Hunde. Oder attraktive, blondierte, vollbusige Stewardessen. Der unsichere Autor stellt seinen Adjektiven gerne noch ein Adverb zur Seite, sodass sich Stewardess und Hund gemeinsam den sehr malerischen und überaus romantischen Sonnenuntergang gemeinsam ansehen. Was nach dem Untergang geschieht, wollen wir gar nicht mehr wissen.

Adjektive sind abstrakter als Verben und Substantive. Wenn Sie aber ein Adjektiv verwenden, dann sollte es eines sein, welches das Substantiv konkreter macht oder eine zusätzliche, relevante Information vermittelt. Sonst ist es überflüssig und gehört gestrichen.

Beispiel:

Johanna warf Gerold einen verzweifelten, fragenden Blick zu. Stimmte es tatsächlich? Würde das Junge leblos liegen bleiben und darauf warten, dass sein Vater kam, es ableckte und auf diese Weise zum Leben erweckte?

(Donna W. Cross, »Die Päpstin«, Rütten & Loening 1996 / übersetzt von Wolfgang Neuhaus)

Hier geht die Verzweiflung Johannas bereits aus dem Kontext hervor, und dass der Blick ein fragender ist, wird durch die Frage im folgenden Satz »Stimmte es tatsächlich?« klar. Die Adjektive sind also redundant und stellen den Leser, überspitzt gesagt, auch noch als dumm hin.

Grundsätzlich läuft der Gebrauch von Adjektiven der bewährten Regel des Show, don’t tell! zuwider, einer Regel, die jeder Autor lebendiger Prosa verinnerlicht haben sollte – zumindest, was die dramatische Darstellung in Szenen betrifft. Dass manche Dinge, wenn es der Geschichte besser dient, erzählt werden sollten, statt sie in Handlung zu setzen (Tell, don’t show!), sei hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt.

Mit einem Adjektiv erzählen Sie dem Leser, dass die Arbeit des Leibeigenen mühselig war, Sie zeigen es ihm nicht. Mit einem Adjektiv behaupten Sie etwas – einer Behauptung aber kann der Leser widersprechen. Und wenn er es bloß aus Trotz tut. Unwidersprochen aber werden der Schweiß bleiben müssen, das Herzklopfen und die Schwielen, die Sie dem Leser zeigen, das sich Hinschleppen des Pierre Lebrun auf dem langen Weg durch die Sümpfe nach Hause: Bilder und Handlung dulden keinen Widerspruch. Sie sind Beweise.

Danke fürs Lesen.

Stephan Waldscheidt


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