So schaffen Sie schnell Charaktere zum Anfassen

Es gibt so viele wunderbare Möglichkeiten, Charaktere einzuführen! Umso unverständlicher, dass sich viele Autoren mit dem immergleichen Alter-Beruf-Haarfarbe-Einerlei begnügen. Die Mühe, sich etwas Besseres einfallen zu lassen, scheinen zudem weniger wichtige Charaktere nicht wert zu sein.
Dabei ist das Gegenteil richtig. Die wichtigen Personen lernt der Leser sowieso nach und nach kennen. Bei Nebenfiguren oder sogar Randfiguren, die nur einen einzigen Auftritt haben, geht es häufig darum, dass Sie dem Leser sofort und knapp möglichst viel von der Person enthüllen. Sie haben nur diese eine Szene und damit nur diese eine Chance. Nutzen Sie sie nicht, erschaffen Sie bloß einen weiteren gesichtslosen Fußsoldaten des endlosen Heers von Romanfiguren, die wie Schaufensterpuppen in ihren Szenen stehen. Tun Sie das häufiger, leidet Ihr ganzer Roman – und das an Stellen, die bei der Überarbeitung leider kaum auffallen.

In seinem Roman »Bloody River Blues« (Avon 1993 / dt. »Ein einfacher Mord« / eigene Übersetzung) zeigt uns Jeffery Deaver eine spannende Möglichkeit, Charaktere vorzustellen. Lesen Sie Deaver! Bei dem Mann können Sie so verdammt viel lernen.

So führt Deaver eine Nebenfigur ein:

Gaudia seinerseits war ein Mann, der von seinen Gelüsten gesteuert wurde. Er wollte die Körper von Frauen und feuchtes Essen und Drinks mit Strohhalmen. Gaudias wichtigste Organe waren seine Zunge und sein Penis.

Sehen Sie sich die Nebenfiguren in Ihrem Roman an. Was steuert sie? Was treibt sie an? Aber gehen Sie weg von der Psychologie. Fragen Sie stattdessen: Welches sind die wichtigsten Organe dieses Charakters? Bei dem einen mag es der Kopf sein, bei dem anderen der Magen.

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——————Stephan Waldscheidt schreibt als Paul Mesa——————-

Insein für Outsider. Romantische Komödie

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Weiten Sie das auf andere körperliche Aspekte aus: Einer mag ein Augenmensch sein, ein anderer sich eher auf seine Ohren verlassen, ein Dritter auf sein Bauchgefühl.

Der Körper ist ein extrem starker und vor allem extrem konkreter Ausgangspunkt, um Menschen rasch einzuordnen. Die Psychologie leistet ihre Dienste, hat aber eben nicht die schnelle Durchschlagskraft und hohe Konkretheit von körperlichen Aspekten.

Fühlt sich der Charakter wohl in seinem Körper? Gibt es ein Körperteil, das einem ins Auge fällt? Weil es ungewöhnlich aussieht? Weil der Charakter es immer wieder ins Spiel bringt, etwa, indem er sich dauernd ans Ohrläppchen fasst? Was signalisiert seine Gesten?
Wie tritt der Charakter – körperlich! – mit anderen Charakteren in Kontakt? Schiebt er sich brutal durch eine Menschenmenge? Oder versucht er, niemanden zu berühren? Fasst er Menschen beim Reden an? Wie reagiert er, wenn er angefasst wird?

Von diesen Ideen ausgehend, sollten Sie weitermachen. Bleiben Sie dabei aber immer bei konkreten körperlichen Faktoren, bleiben Sie bildhaft, schreiben Sie sinnlich erfahrbar. Schreiben ist eine sehr unkörperliche Angelegenheit. Wenn Sie dauernd nur psychologisieren, bauen Sie zwischen Ihre Geschichte und den Leser eine zusätzliche Abstraktionsmauer. Durchbrechen Sie die mit dem Körper Ihrer Figuren und schaffen Sie Menschen zum Anfassen.

Danke fürs Lesen. Und jetzt weiter im Text. In Ihrem.

Stephan Waldscheidt

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(c) SW 2014

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??? Meine Frage an Sie: Wie kann man noch das Körperliche in die Einführung einer Romanfigur einbringen? Welche gelungenen Beispiele fallen Ihnen ein? Ich bin gespannt auf Ihre Antwort — bitte hier als Kommentar … Und: Das hier ist kein Abhören in der Schule, es gibt kein Richtig oder Falsch. Ich freue mich auch über Kommentare, die diese Fragen nicht beantworten 🙂

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