… und was in fast allen Büchern von Anfängern fehlt

Hatten Sie auch so einen Lehrer, der immer und immer und immer wieder auf einem ganz bestimmten Thema herumgeritten ist? Oder der bestimmte Lieblingsausdrücke verwendete, mit denen ihn die Schüler nachäfften, zu meiner Schulzeit in der Steinzeit noch hinter seinem Rücken? Ich hatte eine Französischlehrerin, von dessen Unterricht mir noch genau zwei Dinge in Erinnerung geblieben sind: ihr Lieblingsausdruck »ça suffit!« (das reicht!«), wenn die Schüler sich mal wieder um alles andere kümmerten als um den Unterricht. Und ihr starkes Bedürfnis nach frischer Luft. Egal ob eisiger Winter oder heißer Sommer, das Erste, was sie nach dem Betreten des Klassenzimmers sagte, war: »Ouvrez les fenêtres!« Die ganze frische Luft hat nichts genutzt, mein Französisch kam nie über die Eleganz eines startenden Albatros hinaus. Einem mit Blei im Bürzel.

Die Leser unter Ihnen, die schriftzeit schon länger begleiten, werden vermutlich auch bei mir solche Lieblingsthemen und Angewohnheiten entdeckt haben. He, was weiß ich, womöglich läuft in irgendeiner Autorengruppe gerade ein Waldscheidt-Veräppelungsfestival ab einschließlich großer Pappnase für jede und jeden. Machen Sie nur. Hauptsache, es hilft Ihnen beim Schreiben.
Um eins meiner Lieblingsthemen geht es heute. In gefühlten 110 % aller Text-Gutachten, die ich erstelle, ist dieses Thema sehr relevant. Was mich zu der unwissenschaftlichen, rein erfahrungsbasierten Annahme veranlasst: Dieses Problem haben viele Autoren.

Machen wir ein kleines Quiz. Was haben die Harry-Potter-Romane mit denen von Stephen King ebenso gemeinsam wie mit den Scheibenwelt-Romanen von Pratchett, dem Science-Fiction-Klassiker »Per Anhalter durch die Galaxis«, Ken Folletts Schmökern und vermutlich auch den »Fifty Shades of Grey«-Geschichten?

Stimmt, alles sind Weltbestseller. Ein Grund dafür und eine weitere Gemeinsamkeit: Alle diese Romane stecken voller spezifischer Details. Das können die wunderbaren Gimmicks aus Hogwarts sein, die bizarren Charaktere der Scheibenwelt, die abgefahrenen Einfälle in den »Anhalter«-Romanen, die detaillierten Beschreibung zum Aufbau einer Kathedrale im Mittelalter oder die Namen von bestimmten Rocksongs bei King und minutiös dargelegten Sadomaso-Anweisungen (»Gleichstrom oder Wechselstrom?«) in den Romanen von E. L. James.

Warum lassen aber gerade so viele Romane weniger erfahrener Roman-Autoren gerade diese Details so vermissen?
Vor allem, weil sie Arbeit machen. Es ist leichter, zu schreiben, Benjamin sang ein Lied, als zu schreiben, Benjamin grölte aus vollem Hals »You’re my downfall, you’re my muse / My worst distraction, my rhythm and blues«*. Entweder müssen Sie dazu auf Ihr eigenes Leben, Ihre Erinnerungen, Ihre Gefühle zurückgreifen. Oder Sie müssen recherchieren. Mühsam!
Spezifische Details verlangen vom Autor Phantasie, auch Talent, Beobachtungsgabe und die Fähigkeit, die passenden Details für den Text zu finden und das richtige Maß, in denen sie darin eingesetzt werden. Sehr mühsam!

Ohne spezifische Details fehlt einem Text eine Menge. Und zwar all das, was diese Details Gutes und Unverzichtbares in den Text einbringen:

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Bessere! Romane! Schreiben! 1 & 2
ISBN-13: 978-1478314028
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+ Mit spezifischen Details überwinden Sie den Unglauben Ihrer Leser am schnellsten. Jedes Detail ist ein Beweis, dass sich die Dinge tatsächlich so zugetragen haben (könnten). Die reale Welt besteht nur aus Details, nicht aus Typen, Schubladen, Verallgemeinerungen oder Abstrakta. Sie als Autor schaffen nur Wörter auf Papier. Um Ihre Leser zu überzeugen, dass hinter den Wörtern eine Welt voller atmender Wesen und spannender Geschichten steckt, brauchen Sie Details.
An jedem guten Detail entzünden sich im Leser sofort Bilder, Eindrücke, Gefühle, mit denen er die Welt in seinem Kopf leichter erschafft. Und wenn die erst einmal in seinem Kopf existiert, wird er nicht mehr bestreiten (können), dass es sie gibt.

+ Mit spezifischen Details umgehen und vermeiden Sie Klischees. Spezifische Details sind das genaue Gegenteil von Klischees und Stereotypen, von schon tausend Mal Gesehenem.

+ (Vor allem) Spezifische Details machen den Text zu etwas Besonderem, Einzigartigem. Und genau das wollen Sie doch schreiben, oder?

+ Spezifische Details machen eine Geschichte lebendig(er). Als Autor beweisen Sie damit Ihren Lesern, dass die Dinge so sind, wie Sie es schreiben. Spezifische Details sind das »Show« im »Show, don’t tell«.

+ Spezifische Details von real existierenden Dingen bringen die reale Welt in Ihren Roman. Das Buch wirkt nicht mehr nur wie Druckerschwärze auf Papier, sondern wie etwas, das in der realen Welt spielt oder spielen könnte.

+ Mit spezifischen Details beweisen Sie Ihren Lesern, dass Ihre Charaktere tatsächlich das sind, was sie zu sein vorgeben: Etwa indem Sie kundig über die Polizeiarbeit berichten, übers Motorschlittenfahren oder die Aufzucht von Nacktmullen. Spezifische Details helfen dem Leser, für ihn neue Dinge zu lernen und zu verstehen.

+ Spezifische Details sorgen dafür, dass der Leser sich besser an die Geschichte erinnert. Das geht so weit, dass Details aus Romanen Eingang in die Alltagskultur finden und beispielsweise einen eigenen Eintrag bei Wikipedia bekommen.

+ Spezifische Details sind Ihre Chance, sich als Autor in den Text einzubringen und der Geschichte Ihren unverwechselbaren Stempel aufzudrücken. Die Einzigartigkeit, die Sie als Mensch auszeichnet, findet über die spezifischen Details Eingang in Ihren Roman.

+ Spezifische Details machen den Text auch für Sie selbst plastischer, greifbarer. Sie werden feststellen, dass ein Text mit vielen spezifischen Details auch beim Schreiben und Überarbeiten viel mehr Spaß macht und Sie besser motiviert.

Wenn Sie sich die Vorteile ansehen, erkennen Sie hoffentlich, dass sich die Mühe lohnt. Zumal Sie viele dieser Details auch erst später, bei der Überarbeitung, einbauen können. Vieles allerdings finden Sie erst bei der Recherche. Ich empfehle eine Basis-Recherche vor dem Schreiben, die Sie bei der Überarbeitung noch um Details ergänzen können.

Ça suffit, les enfants. Ich mach jetzt hier erst mal das Fenster auf.

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*) Per Recherche gefunden. Ich kenne das Lied nicht (John Legend, All of me). Einfach »lyrics« gegoogelt, einem Link gefolgt und wahllos auf einen Interpreten geklickt, den ich auch nicht kenne. Ein bisschen Mühe hat es gemacht – aber auch diesen Text besser.

Danke fürs Lesen. Und jetzt weiter im Text. In Ihrem.

Stephan Waldscheidt

(c) SW 2014

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??? Meine Frage an Sie: Was leisten spezifische Details noch? Welches spezifische Detail aus einem Buch ist Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben? Ich bin gespannt auf Ihre Antwort — bitte hier als Kommentar … Und: Das hier ist kein Abhören in der Schule, es gibt kein Richtig oder Falsch. Ich freue mich auch über Kommentare, die diese Fragen nicht beantworten 🙂

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